Im Rahmen eines Prozesskostenhilfeantrags hatte sich das OLG Braunschweig auf Antrag der beklagten Partei mit den Erfolgsaussichten einer Berufung gegen die Verurteilung zu einer wettbewerbsrechtlichen Vertragsstrafe zu befassen gehabt.
Am 24.11.2015 mahnte der Kläger, ein eingetragener Verein, der gewerbliche und berufliche Interessen seiner Mitglieder – zahlreicher Unternehmen – fördert und dabei unter anderem auch die Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs überwacht, den Beklagten wegen diverser Wettbewerbsverstöße ab. Auf die Abmahnung hin gab der Beklagte am 27.11.2015 eine Unterlassungsverpflichtungserklärung ab, mit der er sich unter anderem verpflichtete, es zu unterlassen,
„im geschäftlichen Verkehr mit dem Endverbraucher im Fernabsatz auf der Handelsplattform eBay betreffend Schmuck Angebote zu veröffentlichen und / oder zu unterhalten, … ohne dem Angebot oder der Werbung eindeutig zuzuordnen oder leicht erkennbar und deutlich lesbar oder sonst gut wahrnehmbar anzugeben, dass die für die Waren geforderten Preise die Umsatzsteuer enthalten.“
Diese vom Kläger mit Schreiben vom 02.12.2015 angenommene Verpflichtung gab der Beklagte zur Vermeidung einer für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung vom Kläger zu bestimmenden und im Streitfall gerichtlich zu überprüfenden Vertragsstrafe ab.
Am 18.10.2021 erlangte der Kläger Kenntnis davon, dass der Beklagte Angebote auf der Handelsplattform eBay veröffentlichte, in denen der Kaufpreis ohne Hinweis auf die darin enthaltene Umsatzsteuer angegeben wurde. Insgesamt unterhielt der Beklagte zu jenem Zeitpunkt 284 Angebote bei eBay.
Das LG Göttingen hatte den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 3.000,00 EUR verurteilt (Urteil vom 08.05.2024, Az. 7 O 23/21).
Hieraufhin stellte der Beklagte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug. Er erhob folgende Einwendungen gegen die Klageforderung:
- Der Kläger sei weder aktuell noch im Zeitpunkt der Abgabe der Unterlassungserklärung aktivlegitimiert gewesen.
- Er sei vom Kläger arglistig getäuscht worden, weil die angegebene Anzahl von Schmuckhändlern als Mitglieder des Klägers nicht richtig gewesen sei. Der Unterlassungsvertrag sei daher wirksam angefochten worden.
- Die Abmahnung sei rechtsmissbräuchlich gewesen.
- Der Fortbestand der Aktivlegitimation sei Geschäftsgrundlage des Unterlassungsvertrags gewesen. Da der Kläger nicht in der Liste des § 8b UWG eingetragen sei, fehle nun die Aktivlegitimation und daher bestehe auch kein Vertragstrafenanspruch mehr.
- Die Vertragstrafe sei zu hoch, weil der Beklagte keine nennenswerten Umsätze erzielt habe.
Das OLG Braunschweig sah alle Einwendungen als rechtsunerheblich an und wies den PKH-Antrag zurück (Beschluss vom 29.08.2024, Az. 2 U 79/24).
Zu 1) – Aktivlegitimation für Vertragsstrafenansprüche folgt nur aus dem Unterlassungsvertrag
Insofern fasst das OLG Braunschweig zutreffend zusammen, was sich aus Gesetz und Rechtsprechung ergibt. Warum Rechtsanwaltskanzleien, die Vertragsstrafenschuldner vertreten, in gewisser Regelmäßigkeit das Gegenteil propagieren, ist nicht nachvollziehbar:
„Der Kläger ist für die Geltendmachung der Vertragsstrafe aktivlegitimiert. Die Aktivlegitimation ergibt sich aus der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung, die dem Kläger als Gläubiger das Recht verleiht, vom Beklagten die Vertragsstrafe in den in der Vereinbarung genannten Fällen zu fordern. Der Aktivlegitimation des Klägers steht die Regelung des § 8 Abs. 3 UWG nicht entgegen, da sich der Anwendungsbereich dieser Regelung lediglich auf die Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche nach § 8 Abs. 1 UWG erstreckt, so dass diese Regelung keine Anwendung auf den streitgegenständlichen vertraglichen Anspruch findet.“
Zu 2) – Anfechtung wegen arglistiger Täuschung über relevante Mitgliederzahl unschlüssig
Der Kläger hatte eine Liste mit 55 seiner Mitgliedern vorgelegt, die mit Schmuck handeln. Ein substanzhaltiger Vortrag des Beklagten, der geeignet gewesen wäre, diesen Vortrag zu erschüttern, fehlte. Stattdessen verwies der Beklagte auf ein Urteil in einem anderen Verfahren. Der Verweis auf andere Rechtsprechung ist allerdings kein konkreter Sachvortrag. Das Vorbringen des Beklagten war aber darüber hinaus auch unschlüssig, weil nach seinem eigenen Vortrag 22 Schmuckhändler zutreffend benannt wurden. Bereits diese Anzahl reicht aber aus, um von einer „erheblichen“ Anzahl von Mitgliedern auszugehen, die „Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art“ auf demselben Markt vertreiben (8 bis 9 ausreichend: BGH, Urteil vom 23.10.2008, Az. I ZR 197/06 – Sammelmitgliedschaft VI; jedenfalls 20 ausreichend: Urteil vom 26.01.2023, Az. I ZR 111/22 – Mitgliederstruktur).
Zu 3) – Kein Rechtsmissbrauch (§ 8c UWG)
Den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs wies das OLG Braunschweig zurück. Der Beklagte hatte insofern vorgebracht, der Kläger verschone seine Mitglieder, indem er deren Verstöße dulde und die Vergütung seiner Vorstandsmitglieder und sonstigen Mitarbeiter sei zu hoch.
Das Gericht wies unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil „Mitgliederstruktur“) darauf hin, dass es an einem hinreichenden Vortrag des Beklagten fehlt und im Übrigen nur eine „systematische Duldung von Wettbewerbsverstößen durch Mitglieder“ relevant sein kann. Der Umstand, dass der Kläger ggf. im Einzelfall einen gleichartigen Verstoß eines Mitglieds gegen die PAngV nicht unterbunden habe, lasse keinen Rückschluss auf ein planmäßiges selektives Verhalten zu.
Bezüglich des Vergütungssystems des Klägers hatte der Beklagte sich auf ein Urteil des LG Köln aus dem Jahr 2020, das sich mit finanziellen Daten aus dem Jahre 2019 befasste, beschäftigt. Das OLG Braunschweig sah darin keinen konkreten Sachvortrag, wies zudem darauf hin, dass daraus keine Rückschlüsse auf das Jahr 2015, aus dem der Unterlassungsvertrag stammt, gezogen werden können. Das OLG Hamm (Beschluss vom 24.05.2022, Az. 4 U 21/22) hatte gegen die Vergütung auf der Basis der beim LG Köln vorgetragenen Zahlen keine rechtlichen Bedenken gehabt. Das vom Beklagten erwähnte und in der Entscheidung des OLG Hamm in Bezug genommene Urteil des LG Köln ist im Übrigen in der Berufungsinstanz vom OLG Köln (Urteil vom 09.12.2022, Az. 6 U 40/22) kassiert und die Klage gegen den hiesigen Kläger abgewiesen worden.
Zu 4) – Fortbestand der Aktivlegitimation (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG) gehört nicht zur Geschäftsgrundlage des Unterlassungsvertrags
Auch mit den Einwand, die Geschäftsgrundlage sei entfallen, weil der Kläger bislang nicht in die Liste der qualifizieren Wirtschaftsverbände (§ 8b UWG) eingetragen ist, sah das OLG Braunschweig nicht als relevant an. Es verwies auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz, die insofern ausgeführt hatte:
„Insofern geht die Kammer mit dem Kläger davon aus, dass die UWG-Reform 2021 keinen Einfluss auf „Alttitel“ haben sollte, so dass mit der Änderung der §§ 8, 8b UWG kein Wegfall der Geschäftsgrundlage begründet werden kann (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 20.02.2024, Bl. 1232 der elektronischen Akten).“
Zu 5) – Vertragsstrafe im unteren Bereich angemessen bestimmt
Bezüglich der Angemessenheit der Bestimmung der Vertragsstrafe durch den Kläger hatte das OLG Braunschweig ebenfalls keine Bedenken. Eine Vertragsstrafe in Höhe von 3.000,00 EUR für einen wettbewerbsrechtlichen Verstoß liege im unteren Bereich der üblicherweise zu bestimmenden Vertragsstrafen. Die Reichweite und die Nachahmungsgefahr seien hoch einzuschätzen, weil sich die Verstöße auf der weltweit größten Online-Plattform (eBay) ereigneten. Der Grad des Verschuldens sei nicht von untergeordneter Bedeutung, weil der Beklagte gegen eine eindeutig formulierte Verpflichtung verstoßen habe, die er nicht fehlinterpretieren konnte. Der Umstand, dass der Beklagte mit seiner gewerblichen Tätigkeit keine erheblichen Umsätze hat erzielen können, sei mit der niedrigen Bestimmung der Vertragsstrafenhöhe bereits hinreichend dadurch berücksichtigt worden. Zu Lasten des Beklagten wirke sich aus, dass dieser mit 284 bei eBay veröffentlichten Angeboten eine durchaus beträchtliche, jedenfalls aber eine nicht zu vernachlässigende gewerbliche Aktivität entfaltet hatte.
(siehe gesonderte Besprechung der Entscheidung LG Göttingen, Urteil vom 08.05.2024, Az. 7 O 23/21)
Dr. Harald Schneider
Rechtsanwalt
Fachanwalt für IT-Recht