Rechtsprechung

LG Göttingen: Eintragung in die Liste nach § 8b UWG ist keine Geschäftsgrundlage von Alt-Unterlassungsverträgen

In einem vor dem LG Göttingen geführten Rechtsstreit ging es um die Geltendmachung einer verwirkten Vertragsstrafe aus einem vor Inkrafttreten des „Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“ (zum 02.12.2020) geschlossenen Unterlassungsvertrag.

I. Sachverhalt

Der Kläger, ein im Vereinsregister eingetragener Unternehmerverband, hatte im Jahre 2015 mit dem Beklagten nach vorangegangener wettbewerbsrechtlicher Abmahnung einen Unterlassungsvertrag geschlossen. Dieser verpflichtete den Beklagten, es zu unterlassen, im Fernabsatz auf der Handelsplattform eBay Schmuck-Angebote zu veröffentlichen und / oder zu unterhalten, ohne dem Angebot oder der Werbung eindeutig zuzuordnen sowie leicht erkennbar und deutlich lesbar oder sonst gut wahrnehmbar anzugeben, dass die für die Waren geforderten Preise die Umsatzsteuer enthalten. Im Oktober 2021 stellte der Kläger Verstöße gegen die Unterlassungspflicht fest und forderte hierfür vom Beklagten eine Vertragsstrafe in Höhe von 3.000,00 EUR.

Der Beklagte wies die Forderung zurück, erklärte die Anfechtung seiner Unterlassungserklärung und berief sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, weil der Kläger nicht in der Liste gemäß § 8b UWG eingetragen sei, ihm somit nach neuem Recht die Aktivlegitimation (§ 8 UWG) fehle. Der Kläger erhob daraufhin Zahlungsklage vor dem LG Göttingen. Dieses verurteilte den Beklagten antragsgemäß (Urteil vom 08.05.2024, Az. 7 O 23/21).

II. Anfechtung

Der Beklagte begründete seine Anfechtungserklärung (wegen angeblich arglistiger Täuschung) damit, der Kläger habe im Jahre 2015 über die Zahl seiner relevanten Mitglieder im Schmuck-Bereich getäuscht. Damals hatte er angegeben, dass ihm 70 Schmuckhändler als Mitglieder angehören. Im Schriftsatz vom 27.04.2023 hatte der Kläger (aus Gründen der Daten-Minimierung, Art. 5 Abs. 1 lit c DSGVO) eine Auswahl von 31 Mitgliedern benannt. Nach Ansicht des Beklagten seien es tatsächlich aber lediglich 22 Onlineschmuckhändler gewesen. Zudem würde keines der Mitglieder des Klägers gebrauchten Schmuck anbieten, wie es beim Beklagten der Fall sei.

Für das Gericht kam es nicht darauf an, die Zahl der Mitglieder im Jahre 2015 zu klären. Selbst wenn dem Kläger nur 22 Schmuckhändler angehört haben sollten, wäre diese Zahl ausreichend, um die Aktivlegitimation nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a. F. zu begründen. Darauf, ob diese Verbandsmitglieder nach ihrer Zahl und ihrem wirtschaftlichen Gewicht im Verhältnis zu allen anderen auf dem Markt tätigen Unternehmern repräsentativ sind, kommt es nicht an. Bedeutung und Umsatz der (mittelbaren oder unmittelbaren) Mitglieder sind ohne Belang (BGH, Urteil vom 26.01.2023, Az. I ZR 111/22). Die Sichtweise des LG Göttingen bezüglich der relevanten Zahl an Mitgliedern steht in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 23.10.2008, Az. I ZR 197/06 – Sammelmitgliedschaft VI – 7-8 Mitglieder ausreichend; Urteil vom 14.09.2017, Az. I ZR 231/14 – MeinPaket.de II – 15 Mitglieder ausreichend).

Auch bezüglich Neu- und Gebrauchtwaren sah das Gericht den Beklagtenvortrag als rechtsunerheblich an. Der Begriff „Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art“ im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F. sei weit auszulegen. Insofern sei unbeachtlich, dass der Beklagte noch eine Aufteilung zwischen Online-Schmuckhändlern vornehmen möchte, die gebrauchte Artikel einerseits und neue Artikel andererseits vertreiben. Denn insofern stehen sich die Waren in ihrer Art nach so nahe, dass der Absatz des einen Unternehmers durch irgendein wettbewerbswidriges Handeln des anderen beeinträchtigt werden kann (BGH, Urteil vom 26.01.2023, Az. I ZR 111/22 – Mitgliederstruktur). Denn auch der Online-Gebraucht-Schmuckhändler kann Interessenten vom Kauf von neuem Schmuck abhalten (vgl. für Gebraucht- und Neuwagen: OLG Stuttgart, Urt. vom 28.04.1997 – 2 U 215/96; für Neu- und Gebrauchtdrucker: OLG Hamm, Urteil vom 20.09.2011, Az. I-4 U 73/11).

III. Wegfall der Geschäftsgrundlage

Das LG Göttingen sah ferner die Voraussetzungen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage wegen – nach neuem Recht – fehlender Aktivlegitimation (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG) als nicht gegeben an:

„Insofern geht die Kammer mit dem Kläger davon aus, dass die UWG-Reform 2021 keinen Einfluss auf „Alttitel“ haben sollte, so dass mit der Änderung der §§ 8, 8b UWG kein Wegfall der Geschäftsgrundlage begründet werden kann (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 20.02.2024, Bl. 1232 der elektronischen Akten).“

Insofern hatte der Kläger auf die Bedeutung der Übergangsvorschrift des § 15a UWG hingewiesen. In einem Rechtsbeschwerdeverfahren, in dem es darum ging, ob aus „Alttiteln“ noch Ordnungsmittelverfahren betrieben werden dürfen, hat der BGH (Beschluss vom 21.12.2023, Az. I ZB 42/23) auf einen wesentlichen Umstand hingewiesen, der zur Lösung führt. Denkbar ist es laut den dortigen Ausführungen des BGH, den Wegfall der Sachbefugnis des Vollstreckungsgläubigers auf Grund des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs zum Gegenstand einer Vollstreckungsabwehrklage zu machen. Insofern erwähnt der BGH vergleichend die Rechtslage, die durch das UWG-Änderungsgesetz vom 25.07.1994 (BGBl. I S. 1738) entstanden war (die im BGH-Beschluss enthaltene Jahreszahlangabe „1995“ wird als Schreibfehler angesehen). Der BGH merkt aber dazu an, dass dieses Gesetz keine dem § 15a Abs. 1 UWG vergleichbare Übergangsvorschrift enthielt. Man kann dies als Hinweis des BGH deuten, dass der Gesetzgeber damit für „Alttitel“ eine Bestandsgarantie gewähren wollte. Soweit damit die Möglichkeit der Vollstreckungsabwehrklage entfällt, hat dies eine „Reflexwirkung“ für Unterlassungsverträge, bei denen dann die nicht zur Klage nach § 767 ZPO berechtigenden Umstände auch keine Kündigungsgründe darstellen können.

Im Ergebnis hat auch das OLG Hamm (Urteil vom 17.05.2022, Az. I-4 U 84/21) eine Geschäftsgrundlagenstörung verneint bei einem Streit der Parteien, ob bei Abschluss des Unterwerfungsvertrags die Aktivlegitimation gefehlt hat. Ebenso wie das LG Göttingen geht auch das OLG Hamm davon aus, dass der Unterlassungsvertrag dazu dient, Ungewissheiten, ob der Anspruch tatsächlich besteht, hinzunehmen, was bedeutet, dass der Unterlassungsschuldner (der einen kostenintensiven Rechtsstreit vermeiden möchte) das Risiko trägt, dass die Aktivlegitimation ggf. in einem gerichtlichen Verfahren verneint worden wäre.

Entsprechend sehen die Gerichte auch Kündigungserklärungen, die auf eine fehlende Listeneintragung nach § 8b UWG gestützt werden, als unbegründet an, siehe dazu die Besprechung des Urteils des LG Flensburg: Fehlende Eintragung in die Liste nach § 8b UWG für Vertragstrafenansprüche unerheblich mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen.

IV. Höhe der Vertragstrafe

Das Gericht sah die verwirkte Vertragsstrafe als der Höhe nach angemessen an:

„Gemäß § 13a Abs. 1 UWG sind bei der Festlegung der Höhe der Vertragsstrafe zu berücksichtigen Art, Ausmaß und Folgen der Zuwiderhandlung, Schuldhaftigkeit und Schwere des Verschuldens, Größe, Marktstärke und Wettbewerbsfähigkeit, sowie wirtschaftliches Interesse des Abgemahnten an erfolgten und zukünftigen Verstößen. Eine Herabsetzung durch das Gericht kommt dabei nur dann in Betracht, wenn der Kläger sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, wobei hier die Billigkeitsgrenzen aus § 315 Abs. 3 BGB zu beachten sind. Eine solche Herabsetzung ist hier mangels Ermessensfehlgebrauchs nicht erforderlich.“

Auch eine Begrenzung der Vertragsstrafe gemäß § 13a Abs. 3 UWG n. F. kam für das Gericht nicht in Frage. Nach § 13a Abs. 3 UWG dürfen Vertragsstrafen eine Höhe von 1.000 EUR nicht überschreiten, wenn die Zuwiderhandlung angesichts ihrer Art, ihres Ausmaßes und ihrer Folgen die Interessen von Verbrauchern, Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern in nur unerheblichem Maße beeinträchtigt und wenn der Abgemahnte in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt. Nach dem Inhalt der Gesetzesbegründung liegt aber keine nur unerhebliche Beeinträchtigung im Sinne des § 13a Abs.3 UWG vor, wenn angesichts des Umfangs der Geschäftstätigkeit des Gewerbetreibenden eine größere Zahl von Verbrauchern betroffen ist (siehe auch OLG Koblenz, Urteil vom 16.12.2020, Az. 9 U 595/20). Das ist der Fall, wenn – wie hier – die Verletzung ein im Internet veröffentlichtes Angebot betrifft, das von einer Vielzahl von Verbrauchern bundesweit abgerufen werden kann. Insbesondere beim Handel auf den „großen“ Plattformen wie eBay, Amazon usw. kommt eine Begrenzung nach § 13a Abs. 3 UWG n. F. grundsätzlich nicht in Betracht.

Allerdings hat das Gericht möglicherweise übersehen, dass § 13a Abs. 3 UWG n. F. auf den vorliegenden „Altfall“ überhaupt nicht anwendbar ist. Denn § 15a Abs. 2 UWG regelt, dass §13a Abs. 3 UWG nicht anzuwenden ist auf Abmahnungen, die vor dem 02.12.202 bereits zugegangen sind. Das LG Frankfurt am Main (Urteil vom 09.09.2022, 3-06 O 38/21) hat die Begrenzungsmöglichkeit daher bereits aus diesem Grunde (für eine im Jahre 2016 erfolgte Abmahnung) ausgeschlossen.