Das LG Kiel (Beschluss vom 13.01.2021, Az. 14 HKT 1/20) hat sich bezüglich eines Einigungsstellenverfahrens (§ 15 UWG) eingehend mit den Vorschriften über die Befangenheitsablehnung der vorsitzenden Person und der beisitzenden Personen befasst. Die Entscheidung bietet Gelegenheit, die rechtlichen Grundlagen näher zu betrachten.
I. Sachverhalt
Die Gemeinsame Einigungsstelle zur Beilegung von Wettbewerbsstreitigkeiten in der gewerblichen Wirtschaft der Industrie- und Handelskammer zu Kiel (im Folgenden „Einigungsstelle“) hatte in einem dortigen Verfahren den Antragsgegner (einen Wirtschaftsverband) persönlich geladen. Dieser ließ sich durch Rechtsanwalt R vertreten. Die Einigungsstelle schloss aus der fehlenden Bereitschaft des Antragsgegners, sich zu einem bestimmten Punkt an der Sachverhaltsaufklärung zu beteiligen, dass der Vertreter nicht informiert sei; dies obwohl der Antragsgegner seine fehlende Bereitschaft in diesem Punkte bereits vor dem Termin definitiv in einem Schriftsatz mitgeteilt hatte. Die Einigungsstelle erließ einen Ordnungsgeldbeschluss, der vom LG Kiel inzwischen kassiert wurde (Beschluss vom 02.02.2021, Az. 15 HK/ 1/20). Darüber haben wir in einer Entscheidungsanalyse gesondert berichtet.
In einem späteren (weiteren) Verfahren betreffend Wettbewerbsverstöße im Internet vor der gleichen Einigungsstelle – einen anderen Antragsteller betreffend – wurde der Antragsgegner erneut persönlich geladen zu einem Termin am 23.09.2020. Da er wiederum den Rechtsanwalt R als Vertreter entsenden wollte und einen weiteren Ordnungsgeldbeschluss befürchtete, lehnte der Antragsgegner mit Schreiben vom 16.09.2020 die Vorsitzende und die Beisitzer wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Antragsgegner stützte die Befangenheitsablehnung zudem noch auf das Argument, die Vorsitzende habe das Beschwerdeverfahren gegen das Ordnungsgeld in der früheren Sache verzögert; ferner habe sie ein Interview gegeben, von dem Zitate in einer regionalen Zeitung erschienen. Dort wurden Abmahnungen in einer pauschalierenden Weise als unseriös dargestellt. Der Name des Antragsgegners wurde in dem Zeitungsbericht u.a. auch erwähnt und die Vorsitzende hatte sich nach dem Verständnis des Antragsgegners dadurch – aus der Sicht der Leser – an einer Pauschalverurteilung von Anwälten und Verbänden beteiligt. Das Ablehnungsgesuch reichte Rechtsanwalt R für den Antragsgegner bei der Einigungsstelle ein. Nach Eingang dieses Schriftsatzes kam es am 17.09.2020 zu einem Telefonat zwischen der Vorsitzenden der Einigungsstelle und Rechtsanwalt R. Die Vorsitzende teilte mit, Ablehnungsgründe lägen keine vor und sie halte deshalb am angesetzten Termin fest. Sie bot ein Abwarten auf die Entscheidung des LG Kiel in der früheren Sache, in der Ordnungsgeld verhängt wurde, an. Dies lehnte der Antragsgegner ab. Mit Schreiben vom 21.09.2020 lehnte der Antragsgegner die Vorsitzende erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab: dieses Mal wegen Verstoßes gegen das Enthaltungsgebot, da sie den Befangenheitsantrag nicht zu bearbeiten gedenke, nicht ans Landgericht weitergeleitet und am Termin festgehalten habe. Mit Schreiben vom 21.09.2020 teilte die Vorsitzende mit, sie werde den Befangenheitsantrag nur dann an das LG Kiel weiterleiten, wenn der Antragsgegner einen Antrag nach § 281 ZPO stellen würde. Daraufhin reichte der Antragsgegner Beschwerde beim LG Kiel ein mit der Begründung, die Einigungsstelle bearbeite das Befangenheitsgesuch nicht ordnungsgemäß und beantragte hilfsweise – unter Überreichung der gestellten Anträge –, über die Befangenheitsanträge vom 16.09. und 21.09.2020 zu entscheiden.
II. Zur Beschwerde
Die Beschwerde wegen nicht ordnungsgemäßer Bearbeitung der Befangenheitsanträge wies das LG Kiel als unzulässig zurück. Es handele sich um Einwände gegen die Art und Weise der Dienstausübung der Einigungsstelle. Insofern sei nicht das Landgericht zuständig. Wenn man davon ausgeht – siehe nachfolgend Ziffer III. 4. – , dass die Einigungsstelle nicht für die Entgegennahme von Befangenheitsanträgen zuständig ist und diese nicht weiterleiten muss, kann die Sichtweise des LG Kiel nachvollzogen werden.
III. Zu den Befangenheitsablehnungsanträgen
Für die Ausschließung und Ablehnung von Mitgliedern der Einigungsstelle sind gemäß § 15 Abs. 2 S. 6 UWG die §§ 41 bis 43 und § 44 Absatz 2 bis 4 ZPO entsprechend anzuwenden. Über das Ablehnungsgesuch entscheidet nach § 15 Abs. 2 S. 7 UWG das für den Sitz der Einigungsstelle zuständige Landgericht (Kammer für Handelssachen oder, falls es an einer solchen fehlt, die Zivilkammer).
Geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Amtsführung zu begründen, sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken können, der bzw. die Amtsträger stünden der Sache nicht unvoreingenommen und damit parteiisch gegenüber. Rein subjektive und unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden als Befangenheitsgründe aus (siehe Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 15 Rn. 28a).
Die Ablehnungsgesuche gegen die beiden Beisitzer der Einigungsstelle verwarf das LG Kiel als unzulässig, da insofern keine Gründe, die eine Befangenheit begründen könnten, vorgetragen worden sind. Dies ist zutreffend, da die Verfahrenshandlungen von der Vorsitzenden vorgenommen wurden und auch nur sie das Interview gegeben hatte.
Das Befangenheitsgesuch gegen die Vorsitzende wies das LG Kiel als unbegründet zurück.
1. Befürchtung eines weiteren Ordnungsgeldbeschlusses
Das LG Kiel wies darauf hin, dass es rechtswidrig sei, gegen eine Partei, die einen informierten und zum Vergleichsabschluss ermächtigten Vertreter entsendet, ein Ordnungsgeld zu verhängen. Sachverhaltsaufklärung könne die Einigungsstelle zwar betreiben, allerdings hänge diese von der freiwilligen Mitwirkung einer Partei ab. Sie kann von einer nicht aufklärungsbereiten Partei nicht erzwungen werden (siehe Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 15 Rn. 19, 21). Allerdings sei es (anders als in dem früheren Verfahren) noch nicht zu einem Ordnungsgeldbeschluss zwecks Erzwingung der Aufklärung gekommen. Die Vorsitzende habe zudem durch ihr Angebot, die Entscheidung des LG Kiel (in der anderen Sache) abzuwarten, gezeigt, dass sie ihre Rechtsansicht überdenken werde. Die falsche Interpretation der Vertretungsmöglichkeit einer Partei träfe im Übrigen beide Parteien und würde sich nicht ausdrücklich gegen den Antragsgegner richten.
Die Argumentation, die Vorsitzende könne ihre falsche Rechtsansicht ggf. noch aufgeben und im Übrigen könnten sich die Rechtsanwendungsfehler auch gegen den Antragsteller richten (gemeint ist offenbar, falls dieser auch einen Vertreter entsenden sollte), überzeugt nicht. Zum einen sprach überhaupt nichts dafür, dass auch der Antragsteller in die Gefahr einer Ordnungsgeldverhängung kommen könnte, und ein unfaires Verfahren wird nicht dadurch präkludiert, dass es je nach Prozesslage auch die andere Seite treffen könnte.
Vertretbar erscheint die Argumentation des LG Kiel aber vor dem Hintergrund, dass der Antragsgegner durchaus noch hätte abwarten können, ob die Vorsitzende tatsächlich ein weiteres Ordnungsgeld ankündigt bzw. verhängt. Insofern hätte zunächst eine rechtliche Erörterung und eine Übereinkunft, wie die Vorsitzende sie vorgeschlagen hatte, im Termin erfolgen können. Insofern war die Gefahr für den Antragsgegner abstrakt vorhanden (Wiederholungsgefahr), aber konkret noch nicht hinreichend verdichtet. Er hätte noch Zeit gehabt, ggf. im Termin mit einem Befangenheitsantrag zu reagieren.
2. Verzögerung des Ordnungsgeldverfahrens (vorangegangenes Verfahren)
Der Vorwurf des Antragsgegners ging dahin, dass die Vorsitzende im Beschwerdeverfahren betreffend den Ordnungsgeldbeschluss (in dem vorangegangenen Verfahren) keine Stellungnahme abgegeben hatte. Offenbar hatte das Gericht die Einigungsstelle dazu aufgefordert und die Einigungsstelle hatte nicht reagiert. Sollte es zu einer Verzögerung gekommen sein, wird man diese aber letztendlich dem Gerichtsbetrieb anzulasten haben. Denn als „sonstige Beteiligte“ musste die Einigungsstelle sich nicht äußern und konnte das Gericht nach Ablauf einer gesetzten Frist auch ohne eine Stellungnahme der Einigungsstelle entscheiden.
3. Interview der Vorsitzenden
Verfasser des Zeitungsartikels war ein Journalist, der im Boulevardstil von „rollenden Abmahnungen“, „immer neuen Schüben“, „Opfern“, „Abzocke“ der „Abmahnindustrie“ usw. berichtete und Zitate der Vorsitzenden aus einem Interview, das er offenbar in dem Zusammenhang mit ihr geführt hatte, in seinen Beitrag integriert hatte. Die zitierten Aussagen waren pauschal, nicht konkret gegen den Antragsgegner gerichtet, konnten aus Sicht des Antragsgegners aber als Zustimmung zu einem nicht hinreichend ausgewogenen und differenzierenden Beitrag verstanden werden. Da der Beitrag letztendlich nicht von der Vorsitzenden zu verantworten war und sie an der „Komposition“ unter Einbeziehung von mehreren Sätzen des Interviews auch nicht mitgewirkt haben wird, ist die Sichtweise des LG Kiel zutreffend, dass hier kein objektiver Grund mit Bezug auf den Antragsgegner vorgelegen hat. Anders wäre ein Fall zu beurteilen, sofern ein Mitglied der Einigungsstelle generell und pauschalisierend das Instrumentarium der Selbstkontrolle durch Abmahnungen von Mitbewerbern oder Verbänden in unsachlicher Weise zu beeinträchtigen versucht. Auch käme ein Ablehnungsgrund in Betracht, wenn eine beisitzende Person sich – z. B. in einem Werbeaufruf oder in AGB – in dergleichen Weise verhält, wie sie als unlauter angegriffen wird (Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 15 Rn. 28).
4. Verstoß gegen das Enthaltungsgebot
Zunächst hat das Gericht zutreffend ausgeführt, dass die Vorschrift des § 47 Abs. 1 ZPO, wonach vor Erledigung eines Ablehnungsgesuchs nur noch solche Handlungen vorgenommen werden dürfen, die keinen Aufschub gestatten, in § 15 Abs. 2 S. 6 UWG (Verweisung auf ZPO-Vorschriften) nicht erwähnt worden ist. Nach Auffassung des LG Kiel gelte die Vorschrift aber analog.
Allerdings habe die Einigungsstelle durch ihre Ausführungen in Telefonaten mit Rechtsanwalt R und den Schreiben bis zum 21.09.2020 nicht gegen das Enthaltungsgebot verstoßen, weil noch kein Befangenheitsantrag bei dem zuständigen Landgericht eingereicht worden sei. Dieser ging erst am 22.09.2020 bei der Kammer für Handelssachen des LG Kiel ein und ab dann hatte die Einigungsstelle keine weiteren Maßnahmen mehr ergriffen. Da § 15 Abs. 2 S. 6 UWG auf § 44 Abs. 1 ZPO ausdrücklich keinen Bezug nimmt, könne ein Befangenheitsantrag im Einigungsstellenverfahren – anders als in einem Zivilprozess – nicht bei dem abgelehnten Spruchkörper (hier der Einigungsstelle) angebracht werden. Zu einer Weiterleitung des Befangenheitsantrags sei die Einigungsstelle nicht verpflichtet gewesen. Auch wenn die unterbliebene Weiterleitung als Befangenheitsgrund den Umständen nach nicht in Betracht kommen dürfte, erscheint die Rechtsauffassung des LG Kiel zumindest im vorliegenden Fall nicht überzeugend. Das Gericht hat die Stellungnahme der Einigungsstelle vom 18.09.2020 als „Dienstliche Äußerung im Sinne des §§ 44 Abs. 3 ZPO“ gewertet. Dann erscheint die Argumentation, erst am 22.09.2020 hätten Befangenheitsablehnungsgesuche (mit Eingang bei Gericht) vorgelegen, zweifelhaft. Offensichtlich lagen diese Anträge vor, nur nicht bei der zuständigen Stelle. Gibt aber die unzuständige Stelle eine Dienstliche Äußerung ab, so wäre sie zumindest in diesem Falle zur Weiterleitung verpflichtet gewesen.
IV. Kostenentscheidung
Soweit Befangenheitsanträge gestellt worden sind, hat das Gericht keine Kostenentscheidung getroffen, weil diese Tätigkeiten mit zum Rechtszug gehören und weder gesonderte Gebühren noch Auslagen auslösen. Lediglich für das Beschwerdeverfahren war eine Kostenentscheidung zu treffen gewesen.
V. Fazit
Es drängt sich der Eindruck auf, dass es dem Antragsgegner darauf angekommen war, aus einer Gesamtschau diverser Umstände, die einzeln betrachtet noch nicht hinreichend durchschlagend waren, die Befangenheitsablehnung zu begründen. Dieser Weg erscheint regelmäßig nicht erfolgversprechend, da die Ablehnungsgründe grundsätzlich für sich zu bewerten sind. Soweit eine Gesamtschau überhaupt möglich ist, müsste es sich um objektive Gründe handeln, die kein ausreichendes, aber immerhin ein gewisses „Gewicht“ haben.