Die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29.04.2004 dient der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Durchsetzungsrichtlinie / Enforcement-Richtlinie). Von den Rechten des geistigen Eigentums werden insbesondere Patent, Marken und Urheberrechte erfasst.
Die Richtlinie sieht in Art. 8 ein „Recht auf Auskunft“ vor. Nach Art. 8 Abs. 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die zuständigen Gerichte im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechtes des geistigen Eigentums auf einen Antrag des Klägers hin anordnen können, dass Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege von Waren oder Dienstleistungen, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, von dem Verletzer und/oder jeder anderen Person erteilt werden, die z. B. nachweislich rechtsverletzende Ware in gewerblichem Ausmaß in ihrem Besitz hatte (lit. a)). Diese Auskünfte erstrecken sich, soweit angebracht, nach Art. 8 Abs. 2 a) Durchsetzungsrichtlinie auf die Namen und Adressen der Hersteller, Erzeuger, Vertreiber, Lieferer und anderer Vorbesitzer der Waren oder Dienstleistungen. Der Verletzer und/oder jeder anderen Person müssen daher u. a. Auskunft über die „Adresse“ erteilen.
Im UrhG wurden die Vorgaben dieser Regelung in § 101 UrhG umgesetzt (siehe zum deutschen Markenrecht: § 19 MarkenG; siehe zum deutschen Patentrecht: § 140b PatG). Die zu Art. 8 Abs. 2 lit. a) Durchsetzungsrichtlinie entsprechende Regelung findet sich in § 101 Abs. 3 Nr. 1 UrhG. Anstelle des Begriffes der „Adresse“ (in der englischen Version der Richtlinie wird der Begriff „addresses“ verwendet), wird in § 101 Abs. 3 Nr. 1 UrhG der Begriff der „Anschrift“ verwendet.
Auf der Plattform Youtube waren Filme widerrechtlich hochgeladen worden. Wer dort Filme hochladen möchte, muss sich registrieren, d. h., seinen Namen, eine E-Mail-Adresse und ein Geburtsdatum angeben. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch die Telefonnummer anzugeben. Nach Feststellung dieses widerrechtlichen Hochladens hatte eine Filmverwertungsgesellschaft von Youtube und deren Muttergesellschaft Google Auskunft über die E-Mail-Adressen und Telefonnummern derjenigen Personen verlangt, die für das widerrechtliche Hochladen verantwortlich waren. Hierbei stellte sich die Frage, wie der Begriff der „Anschrift“ in § 101 Abs. 3 Nr. 1 UrhG, der der Umsetzung des Art. 8 Abs. 2 lit. a) Durchsetzungsrichtlinie („Adresse“ bzw. „addresses“) dient, auszulegen ist. Entscheidend war insbesondere, ob dieser Begriff auch z. B. eine E-Mail-Adresse umfasst.
Auf entsprechende Vorlagefrage des BGH gemäß Beschluss vom 21.02.2019, Az. I ZR 153/17, hatte der EuGH hierüber zu entscheiden (Urteil vom 09.07.2020, Az. C-264/19). Der EuGH entschied, dass der Begriff der Adresse in Art. 8 Abs. 2 lit. a) Durchsetzungsrichtlinie weder eine E-Mail-Adresse noch eine Telefonnummer erfasst. Mit diesem Begriff sei lediglich eine postalische Anschrift genannt. Vor diesem Hintergrund ist § 101 Abs. 3 Nr. 1 UrhG richtlinienkonform auszulegen. Eine nachfolgende Entscheidung des BGH ist hierzu noch nicht bekannt. Youtube und Google müssen daher, sofern und solange keine Änderung der gesetzlichen Vorgaben erfolgt, über die bei ihnen gespeicherte E-Mail-Adresse, Telefonnummer und IP-Adresse keine Auskunft erteilen.