Wegen einer Vielzahl von Mitgliederanfragen betreffend Warenpräsentationen, die von Amazon fehlerhaft dargestellt werden, u. a. auch wegen Änderungen der ASIN durch andere Händler, seien nochmals die Haftungsgrundsätze erläutert (siehe dazu auch im Login-Bereich die Entscheidungs-Besprechungen im Informationsdienste-Katalog, Stichwort „Amazon“).
Es gibt dazu zwei grundsätzliche Entscheidungen des BGH (Urteile vom 03.03.2016, Az. I ZR 110/15 sowie I ZR 140/14). In beiden Verfahren hatten die Händler sich gegen die Unterlassungsansprüche damit verteidigt, sie hätten die Produktangaben in dieser Form nicht auf der Plattform eingestellt. Für den BGH spielt das (entsprechend auch der bisherigen Instanz-Rechtsprechung) keine Rolle. Selbst dann, wenn der Plattformbetreiber eigenmächtig Änderungen vornimmt und bzw. nur dieser Änderungen vornehmen kann, mache sich letztlich der Händler die von der Plattform vorgegebenen produktbezogenen Angaben zu Eigen. Deshalb treffe ihn als Nutzer der Verkaufsplattform die Pflicht, seine dort veröffentlichten Angebote auf Rechtmäßigkeit hin zu prüfen. Die Zurechnung der Gefahr, für falsche Angaben Dritter zu haften, sei nicht unbillig bzw. unverhältnismäßig, da die Händler auch die Vorteile der internetbasierten, allgemein bzw. weltweit zugänglichen und eine weitgehende Preistransparenz vermittelnden Verkaufsplattform für sich in Anspruch nähmen. Zum genauen Umfang der Prüfungs- und Überwachungspflicht und ggf. zum Bestehen eines Prüfungs-Intervalls musste der BGH sich nicht festlegen. Im Verfahren zum Az. I ZR 140/14 war ihm jedenfalls der Zeitraum der Untätigkeit des Händlers von „nahezu zwei Wochen“ zu lang.
Zur Frage, ob und ggf. wie lange ein Prüfungszeitraum zu gewähren ist, gibt es keine durchgehend klaren Aussagen in der Rechtsprechung.
Da den Händlern das Problem, das Amazon geschaffen hat und in Kenntnis seiner Unzulänglichkeiten aufrechterhält, hinreichend bekannt ist, kann – streng genommen – argumentiert werden, dass auf Grund der Fehleranfälligkeit der Plattform jederzeit mit Rechtsverletzungen zu rechnen ist, so dass der Händler stets das Risiko trägt und ggf. von einem Handel auf solchen Plattformen absehen muss. Das liefe dann auf keinen bzw. einen sehr geringen Prüfungszeitraum hinaus. In diese Richtung gehen z. B. folgende Entscheidungen:
LG Mönchengladbach, Urteil vom 31.08.2018, Az. 8 O 8/18:
„Dem Händler bleibt immerhin die Möglichkeit, von einer Veröffentlichung auf dieser Plattform abzusehen.“
LG Gießen, Urteil vom 09.03.2018, Az. 6 O 5/18:
„Wenn es hieran <an Rechtskonformität> fehlt, muss die Antragsgegnerin auf eine Änderung hinwirken oder – wo dies unmöglich ist – für das jeweilige Produkt einen anderen Vertriebsweg suchen.“
LG Berlin, Beschluss vom 28.02.2018, Az. 102 O 13/18:
„Soweit sie Artikel auf der Plattform amazon.de anbietet, setzt sie sich bewusst dem Risiko aus, dass die Artikelbeschreibung durch Dritte geändert werden kann.“
LG Mönchengladbach, Beschluss vom 01.04.2021, Az. 8 O 15/20:
„Dies bedeutet, dass der Schuldner zumindest versuchen muss, die Handelsplattform Amazon unter Hinweis auf das entsprechende Unterlassungsurteil dazu zu bewegen, die Möglichkeit der Abstellung der Wettbewerbsverstöße zu eröffnen (in diesem Sinne auch OLG Köln MMR 2016,41).“
Nach anderer Auffassung kommt es nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf die Umstände des Einzelfalles an (insbesondere auf die Zahl der Präsentationen und die Größe des Unternehmens). U. E. ist hierbei auch die kostenmäßig durchaus zuzumutende Investition in Monitoring-Software zu berücksichtigen. Bei effektivem Einsatz dieser Software dürfte grundsätzlich eine unverzügliche (Definition in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB = „ohne schuldhaftes Zögern“) Reaktion nach „Alarmmeldung“ geboten sein, womit man im Bereich von Minuten bzw. allenfalls Stunden ist, bis die Fehlerbeseitigung zu beginnen hat.
In einem Ordnungsmittelverfahren hatte das OLG Köln (Beschluss vom 15.03.2017, Az. 6 W 31/17) eine werktägliche Überprüfung der Amazon-Präsentationen durch den Händler ausreichen lassen, um das Verschulden auszuräumen. Der Senat hat zu Recht betont, dass diese Sichtweise nicht der vorgenannten BGH-Rechtsprechung entgegensteht. Denn beim Unterlassungsanspruch komme es tatbestandlich nicht auf Verschulden an. Daher ist diese Entscheidung für die Unterlassungsverfahren nicht aussagekräftig.
Das LG Mannheim (Beschluss vom 07.04.2021, Az. 24 O 12/20 ZV I) lässt eine einmalige Kontrolle pro Tag nicht genügen wegen der hohen Gefahr, dass jederzeit und bekanntermaßen häufig Artikelbeschreibungen bei Amazon durch andere Händler abgeändert werden:
„Die Kontrolle der Angebotsbeschreibungen führt die Mitarbeiterin der Schuldnerin nach eigenem Vortrag der Schuldnerin in wenigen Minuten zwischen 9.00 Uhr und 10.00 Uhr durch. … Eine einmalige Kontrolle pro Tag genügt diesen Anforderungen nicht. Mindestens zwei- bis dreimal täglich ist die Kontrolle erforderlich und vor dem Hintergrund des eigenen Vortrags der Schuldnerin, dass dies in Minuten geschehen könne, auch zumutbar. Eine Wiederholung der täglichen Kontrolle ist bereits aus Gründen der Selbstkontrolle zur Vermeidung eigener Fehler durch Übersehen von Angebotsveränderungen geboten.“
Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 30.06.2021, Az. 6 W 18/21) hat die Entscheidung des LG Mannheim auf Beschwerde der Schuldnerin hin bestätigt. Offen gelassen hat das OLG Karlsruhe, ob die mehrfache tägliche Kontrolle der Warenpräsentationen erforderlich ist. Es ging aber jedenfalls von einer täglichen Kontrolle aus. Weiterhin hat das Beschwerdegericht ein Organisationsversagen des Geschäftsführers der Schuldnerin darin erblickt, dass die Belehrungen und Anordnungen an die mit der Kontrolle beauftragten Personen unzureichend waren. Diese hätten grundsätzlich schriftlich zu erfolgen, mündliche Anweisungen genügen nicht (unter Hinweis auf die Senatsbeschlüsse vom 21.12.2011, Az. 6 W 12/11 und vom 01.12.2012, Az. 6 W 47/12, jeweils unveröffentlicht; OLG Hamburg NJW-RR 1993, 1392; OLG Nürnberg WRP 1999, 1184, 1185; OLG Frankfurt, WRP 2018, 245, 246). Zudem müssen die Beauftragten auch informiert werden, welche Nachteile sich aus einer unzureichenden Kontrolle ergeben. Es dürfen nur zuverlässige Personen ausgewählt und diese müssen überwacht werden. Aus dem Vortrag der Schuldnerin ergab sich, dass diese Anforderungen nicht eingehalten wurden.
Das OLG Schleswig (Urteil vom 02.04.2019, Az. 6 U 30/18) hält bei simpler und standardisierter Ware (wie z. B. im streitigen Fall bei Haushaltswaren) eine „nahezu werktägliche Überwachung“ für ausreichend. Das gelte auch unter Berücksichtigung der vielen Anbieter, die über die ASIN fehlerhafte Artikelbeschreibungen vornehmen können. Bei hochkomplexen Waren und falls Fehler – wie im Sicherheits- und Gesundheitsbereich – schwerwiegende Folgen haben könnten, müsse bezüglich der Prüffrequenz ein strengerer Maßstab angelegt werden. Betreffend diese variable Betrachtungsweise beruft sich das OLG Schleswig auf die Entscheidung des BGH, Urteil vom 03.03.2016, Az. I ZR 140/14, Rn. 26 – Angebotsmanipulation bei Amazon, wonach die Störerhaftung nur in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes begründet werden kann.
Die (zusätzliche) Neuanlage einer Artikelseite für ein bereits vorhandenes Produkt auf der Plattform Amazon ist irreführend und daher auch kein gangbarer Weg (OLG Hamm, I-4 U 80/16, Hinweisbeschluss vom 20.10.2016).
Für das Problem gibt es nur eine perfekte Lösung, nämlich diejenige, dass Amazon die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Handel auf seiner Plattform verbessert.
Händler mit einer Vielzahl von Warenpräsentationen werden vor Schwierigkeiten gestellt, wenn sie täglich oder sogar stündlich tausende von Präsentationen überprüfen müssten. Es gibt – gemessen an den drohenden Abmahnkosten, Ordnungsgeldern und Vertragstrafen – aber preiswerte Softwarelösungen (Monitoring-Tools), die Marktplatzbewegungen überwachen und Änderungen an Präsentationen melden. Ob und wie gut diese funktioniert, ist uns nicht bekannt, nachstehend einige Beispiele:
- logicscan (logicscan.de)
- AMALYZE Shield (amalyze.com)
- AMALYTIX (amalytix.com)
Dr. Harald Schneider
RA + FA IT-Recht