Der EuGH hat am 11.06.2020 in einem Vorabentscheidungsverfahren (Rechtssache Vodafone Portugal gegen die Steuer- und Zollbehörde Portugal, C-43/19) zur rechtlichen Einstufung von Entschädigungen im Falle der Nichteinhaltung der vertraglichen Mindestbindungsfrist (z. B. 12 oder 24 Monate) durch Kunden entschieden. Vodafone (Klägerin) hatte ihren Kunden Verträge für verschiedene TK-Dienstleistungen (z.B. für Festnetz, Mobilfunk oder Internet) angeboten. Denjenigen Kunden, die eine Mindestlaufzeit wählten, gewährte die Klägerin Vergünstigungen wie z.B. eine kostenfreie Installation und Aktivierung der Dienste. Sofern ein Kunde die Mindestlaufzeit aus Gründen, die er selbst zu vertreten hatte, nicht einhielt, war er vertraglich verpflichtet, eine Zahlung für die vorzeitige Vertragsbeendigung zu leisten. Die Höhe der Zahlung war geringer als der Betrag, den die Klägerin vom Kunden bei regulärer Vertragserfüllung erhalten hätte. Die Zahlungshöhe berechnete die Klägerin nach einer zuvor vertraglich festgelegten Formel, welche die gesetzlichen Vorgaben in Portugal berücksichtigte. Die Zahlung durfte die der Klägerin entstandenen Kosten nicht übersteigen und musste in angemessenem Verhältnis zu dem Vorteil stehen, den die Klägerin dem Kunden gewährt hatte. Dieser Vorteil war im Vertrag benannt und quantifiziert. Kernfrage des Verfahrens war, ob die von den Kunden nach Vertragsbeendigung bezahlten Beträge steuerpflichtiges Entgelt für Leistungen der Klägerin oder aber Schadensersatz sind.
Der EuGH gelangte zu dem Ergebnis, dass ein steuerpflichtiges Entgelt vorliege. Er nahm Bezug auf sein früheres Urteil vom 22.11.2018 in der Rechtssache Meo gegen Autoridade Tributária e Aduaneira (C-295/17). Bereits in dieser Sache hatte er entschieden, dass eine Ausgleichszahlung des Kunden für eine vorzeitige Vertragsbeendigung steuerpflichtiges Entgelt ist. Die Zahlung des Kunden stelle eine Gegenleistung für den Anspruch auf Erfüllung des TK-Vertrages dar.
Es stellt sich die Frage, wie auf Grund der derzeitigen Praxis in einem vergleichbaren Fall in Deutschland entschieden würde. Die Bedeutung der Entscheidung des EuGH ist nicht auf Telekommunikations-Unternehmen beschränkt, sondern kann z. B. Leasinggesellschaften, Sportstudios und sonstige Dienstleister betreffen, die Verträge mit Mindestbindungsfrist anbieten. Der Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 01.10.2020 in der Version vom 28.06.2021 (UStAE) enthält in Abschnitt 1.3 Abs. 17 S. 6 eine Regelung, wonach Ausgleichszahlungen für künftige Leasingraten, die bei Kündigung des Leasingvertrages zu entrichten sind, echten Schadensersatz darstellen. Sie unterliegen nach dem Erlass also keiner Umsatzbesteuerung. Entsprechend dem dahinter stehenden Bewertungsmodell des Erlasses müsste diese Einordnung auch für andere Wirtschaftsbereiche heranzuziehen sein. Die Finanzverwaltung müsste daher den UStAE erst einmal ändern, um für Fälle, die vom Wirkungsbereich des EuGH-Urteils erfasst sind, eine Besteuerung durchzuführen. Einer rückwirkenden Besteuerung gemäß der EuGH-Rechtsprechung dürfte das Vertrauen auf die Regelungen des UStAE entgegenstehen (Vertrauensschutzgedanke).