Durch die Schuldrechtsreform 2022 (Umsetzung der Warenkauf-Richtlinie, der Digitale-Inhalte-Richtlinie und der Dienstleistungsrichtlinie) haben sich zum 28.05.2022 auch Änderungen des Widerrufsrechts für digitale Produkte ergeben. Der Begriff „digitale Produkte“ ist neu eingeführt und in § 327 Abs. 1 BGB legaldefiniert worden.
I. Anwendungsbereich
In § 327 Abs. 1 BGB wird insofern unter dem Oberbegriff „digitale Produkte“ differenziert zwischen den Untergruppen
- digitale Inhalte und
- digitale Dienstleistungen.
Digitale Inhalte sind in erster Linie Daten, die erstellt und bereitgestellt werden (§ 327 Abs. 2 S. 1 BGB), z. B. Bilder, Video- oder Musikdateien, Software (Software as a Service oder Download), digitale Spiele, eBooks und sonstige elektronische Informationen. Digitale Dienstleistungen zielen hingegen darauf ab, einen Bezug zu digitalen Daten herzustellen (§ 327 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und 2 BGB), z. B. den Zugang dazu zu ermöglichen, Daten zu erstellen oder sie nutzbar zu machen. Als Beispiele hierfür lassen sich anführen: Webhosting, Streaming, Online-Spiele. Unterrichtskurse. Da die Art der Geschäftsmodelle sehr vielfältig ist und die wirtschaftliche Entwicklung schnell voranschreitet, kann im Einzelfall die Abgrenzung zwischen digitalen Inhalten und digitalen Dienstleistungen schwierig sein bzw. kann es zu multiplen Erscheinungsformen kommen.
- 327 Abs. 6 BGB enthält Klarstellungen, welche Leistungen aus dem Anwendungsbereich der §§ 327 ff. BGB herausfallen:
- Dienstleistungsverträge, bei denen lediglich digitale Formen oder Mittel angewendet werden, z. B. im Rahmen der Ergebnisdarstellung oder der Lieferung,
- TK-Verträge,
- Behandlungsverträge nach § 630a BGB,
- Glücksspielverträge,
- Verträge über Finanzdienstleistungen,
- Verträge über die Bereitstellung kostenloser Software zur Kondition einer freien und quelloffenen Lizenz,
- Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte, wenn diese der Öffentlichkeit auf andere Weise als durch Signalübermittlung als Teil einer Darbietung oder Veranstaltung zugänglich gemacht werden,
- Verträge über die Bereitstellung von Informationen im Sinne des Informationsweiterverwendungsgesetzes.
II. Rechtsnatur der Verträge
Die Bestimmung der Rechtsnatur der digitale Produkte betreffenden Verträge hat die Digitale-Inhalte-Richtlinie dem nationalen Recht überlassen, siehe den Erwägungsgrund Nummer 12:
„Diese Richtlinie sollte nationale Rechtsvorschriften unberührt lassen, soweit die betreffenden Angelegenheiten nicht durch diese Richtlinie geregelt sind, wie beispielsweise nationale Vorschriften über das Zustandekommen, die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Wirkungen von Verträgen oder über die Rechtmäßigkeit des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung. Auch die Rechtsnatur von Verträgen über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen sollte nicht durch diese Richtlinie bestimmt werden, und die Klärung der Frage, ob solche Verträge beispielsweise einen Kauf-, Dienstleistungs- oder Mietvertrag oder einen Vertrag sui generis darstellen, sollte dem nationalen Recht überlassen bleiben.“
Eine höchstrichterliche Klärung dazu, ob es sich um eine eigenständige Vertragsart handelt oder der Vertrieb digitaler Inhalte als Kauf- oder als Mietvertrag sowie die Erbringung digitaler Dienste stets als Dienstleistungsvertrag anzusehen ist, steht aus. In im Internet abrufbaren Belehrungstexten wird häufig ohne Differenzierung die Vergütung für digitale Produkte als „Kaufpreis“ bezeichnet. Die Einordnung des Vertragstypus ist nicht nur für vertragsrechtliche Streitigkeiten, z. B. Auslegungsfragen, Mängelansprüche, AGB-Gestaltung, relevant, sondern auch für die Formulierung der Widerrufsbelehrung selbst, die für Warenlieferungen und Dienstleistungen Besonderheiten aufweist (amtliches Muster in Anlage 1 zu Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 2 EGBGB).
Denkbar ist auch, dass im Einzelfall wegen unklarer Einordnung komplexer Leistungen eine Entscheidung nach der „Schwerpunkttheorie“ (ähnlich wie im Falle der Entscheidung des BGH zum sog. Internet-System-Vertrag, Urteil vom 04.03.2010, Az. III ZR 79/09) erfolgen müsste.
Zu berücksichtigen ist, dass die Vorschriften über das Verbraucher-Widerrufsrecht die EU-rechtliche Systematik (Art. 1 Nr. 6 Verbraucherrechterichtlinie = Richtlinie 2011/83/EU) zugrunde legen. Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet
„Dienstleistungsvertrag jeden Vertrag, der kein Kaufvertrag ist und nach dem der Unternehmer eine Dienstleistung, einschließlich einer digitalen Dienstleistung, für den Verbraucher erbringt oder deren Erbringung zusagt;“
Fernabsatzrechtlich betrachtet, gibt es danach nur Kauf- und Dienstleistungsverträge. Daher werden z. B. Werkverträge oder Maklerverträge – was die Wahl der Widerrufsbelehrungs-Variante anbelangt – als Dienstverträge behandelt.
III. Gestaltung der Widerrufsbelehrungen
Auszugehen ist zunächst von der Einteilung der digitalen Produkte in digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen (§ 327 BGB).
a) Amtliches Muster
Die amtlichen Gestaltungshinweise in Anlage 1 (zu Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 2 EGBGB) enthalten für Dienstleistungsverträge folgende Modifikationen der Belehrungs-Grundversion:
- Gestaltungshinweis „1 a)“ – Dieser befasst sich damit, ab wann die Widerrufsfrist beginnt und
- Gestaltungshinweis „6)“ – Dieser enthält den Mustertext für die Belehrung zum vorzeitigen Erlöschen des Widerrufsrechts.
Das amtliche Muster weist ansonsten, z. B. im Abschnitt „Folgen des Widerrufs“, keine Unterschiede für Warenlieferung und Dienstleistung auf.
b) Differenzierungen in § 356 BGB betreffend das Erlöschen des Widerrufsrechts
aa) Nicht entgeltpflichtige Bereitstellung
Zunächst ist zu beachten, dass die fernabsatzrechtlichen Vorschriften nach § 312 Abs. 1 BGB grundsätzlich nicht auf Verbraucherverträge anzuwenden sind, bei denen der Verbraucher nicht zur Zahlung eines Preises verpflichtet ist. Eine Ausnahme gilt nach §§ 327 Abs. 3, 312 Abs. 1a S. 1 BGB dann, wenn der Verbraucher dem Unternehmer personenbezogene Daten bereitstellt oder sich hierzu verpflichtet (Situation „mit Daten zahlen“ z. B. für das Erstellen von Interessenprofilen, Anzeigen mit individualisierter Werbung, Tracking usw.). Dies gilt gemäß §§ 327 Abs. 3, 312 Abs. 1 a S. 2 BGB allerdings dann nicht, wenn der Unternehmer die vom Verbraucher bereitgestellten personenbezogenen Daten ausschließlich verarbeitet, um seine Leistungspflicht oder an ihn gestellte rechtliche Anforderungen zu erfüllen, und sie zu keinem anderen Zweck verarbeitet.
Bezahlt der Verbraucher kein Entgelt für die Lieferung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten oder für Dienstleistungen (bei einer unter §§ 327 Abs. 3, 312 Abs. 1a S. 1 BGB fallenden Preisgabe personenbezogener Daten, z. B. der Einwilligung in den Bezug eines Newsletters), so erlischt das Widerrufsrecht von selbst, und zwar
- bei digitalen Inhalten mit Beginn der Vertragserfüllung (Bereitstellung), § 356 Abs. 5 Nr. 1 BGB und
- bei Dienstleistungen mit vollständiger Leistungserbringung, § 356 Abs. 4 Nr. 1 BGB.
Erhält der Händler für den digitalen Inhalt oder die Dienstleistung vom Verbraucher also keine Zahlung eines Preises, muss der Händler nichts weiter veranlassen, insbesondere nicht zwingend belehren, damit das Widerrufsrecht erlischt. Ab dem 28.05.2022 ist dieses mit Bereitstellung des Inhalts bzw. vollständiger Erbringung der Leistung von Gesetzes wegen gemäß den o. g. Vorschriften in § 356 BGB ausgeschlossen.
Für unentgeltliche Verbraucherverträge, welche die Bereitstellung von körperlichen Datenträgern, die ausschließlich als Träger digitaler Inhalte dienen, zum Gegenstand haben (z. B. Schenkung solcher Datenträger), enthält § 356 BGB keine gesonderte Regelung. Insofern bleibt es bei § 312 Abs. 1 BGB, wonach ohne Zahlungsverpflichtung der Verbrauchervertrag aus dem Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB ausgenommen ist. Hier besteht also kein Widerrufsrecht.
bb) Entgeltliche Bereitstellung
Für Dienstleistungsverträge regelt § 356 Abs. 4 BGB die Voraussetzungen des Erlöschens des Widerrufsrechts. Bei entgeltlichen Dienstleistungen (§ 356 Abs. 4 Nr. 2 BGB) bleibt es auch nach der Schuldrechtsreform bei den früheren Anforderungen. Die dortigen Vorgaben entsprechen dem Mustertext im Gestaltungshinweis Nr. 6 zum amtlichen Muster in Anlage 1 (zu Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 2 EGBGB).
Bei Verträgen über die Bereitstellung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten ergeben sich die Voraussetzungen für das Erlöschen des Widerrufsrechts aus § 356 Abs. 5 Nr. 2 BGB. Hier tritt seit dem 28.05.2022 die Anforderung neu hinzu, dass der Unternehmer dem Verbraucher eine Bestätigung gemäß § 312f zur Verfügung gestellt hat. Der Inhalt dieser „Bescheinigung“ ergibt sich für die nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalte aus § 312f Abs. 3 BGB:
„Bei Verträgen über digitale Inhalte (§ 327 Absatz 2 Satz 1), die nicht auf einem körperlichen Datenträger bereitgestellt werden, ist auf der Abschrift oder in der Bestätigung des Vertrags nach den Absätzen 1 und 2 gegebenenfalls auch festzuhalten, dass der Verbraucher vor Ausführung des Vertrags
1. ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer mit der Ausführung des Vertrags vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, und
2. seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er durch seine Zustimmung mit Beginn der Ausführung des Vertrags sein Widerrufsrecht verliert.“
c) Varianten der Belehrung
Unter Berücksichtigung der Einteilungen im amtlichen Muster und der Besonderheiten für nicht auf einem körperlichen Datenträger befindliche digitale Inhalte (§ 356 Abs. 5 BGB) lassen sich drei Belehrungs-Varianten erkennen:
- für digitale Dienstleistungen,
- für nicht auf einem körperlichen Datenträger befindliche digitale Inhalte (§ 356 Abs. 5 BGB) und
- für die Bereitstellung von körperlichen Datenträgern, die ausschließlich als Träger digitaler Inhalte dienen.
Nach § 327 Abs. 5 BGB sind die §§ 327 ff. BGB – mit Ausnahme der §§ 327b und 327c BGB – auch auf Verbraucherverträge anzuwenden, welche die Bereitstellung von körperlichen Datenträgern, die ausschließlich als Träger digitaler Inhalte dienen, zum Gegenstand haben (vorstehende Nr. 3).
Verträge über die Entwicklung digitaler Produkte nach den Vorgaben des Verbrauchers (§ 327 Abs. 4 BGB), die nach der ursprünglichen Systematik des BGB typische Werkverträge darstellen, unterfallen nach der EU-rechtlichen Systematik, also fernabsatzrechtlich betrachtet, dem Dienstleistungsvertrag. Gleiches gilt für Verträge über die Miete digitaler Produkte (§ 578b BGB). Auch hier wäre das Muster „Dienstleistung“ zu wählen.
Unklar bleibt, wie sog. Paketverträge (§ 327a BGB) hinsichtlich der Widerrufsbelehrung zu behandeln sind. Der Paketvertrag ist in § 327a Abs. 1 S. 1 BGB legaldefiniert. Dies sind Verbraucherverträge,
„die in einem Vertrag zwischen denselben Vertragsparteien neben der Bereitstellung digitaler Produkte die Bereitstellung anderer Sachen oder die Bereitstellung anderer Dienstleistungen zum Gegenstand haben“.
Da die Vorschriften über digitale Produkte nur für den Teil des Pakets gelten, der digitale Produkte betrifft, erscheinen ggf. „zweigleisige“ Widerrufsbelehrungen geboten. Diese sind z. B. auch dann erforderlich, wenn zusätzlich zu einer Warenbestellung noch eine Dienstleistung gebucht wird, z. B. eine „Club-Mitgliedschaft“. Die Thematik dürfte der Situation bei der Vorhaltung von „Bestellbuttons“ im elektronischen Geschäftsverkehr (§ 312j Abs. 3 BGB) ähneln, die für jeden Vertrag separat erforderlich sind (siehe z.B. LG Berlin, Urteil vom 23.03.2023, Az. 67 S 9/23 – Flugreise und kostenpflichtige Prime-Mitgliedschaft sowie OLG Nürnberg, Urteil vom 29.05.2020, Az. 3 U 3878/19 – Warenbestellung und kostenpflichtige Mitgliedschaft).
d) Modifikationen
Bei digitalen Dienstleistungen ist gemäß dem Gestaltungshinweis Ziffer 1a) der Beginn ab dem Tag „des Vertragsabschlusses“ zu wählen. Der Belehrungstext zum vorzeitigen Erlöschen ergibt sich aus dem Gestaltungshinweis Ziffer 6) zum amtlichen Muster.
Bei Bereitstellung von körperlichen Datenträgern im Sinne des § 327 Abs. 5 BGB passt die Widerrufsbelehrung für „Warenlieferung“.
Hinsichtlich der Bereitstellung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten (§ 356 Abs. 5 BGB) dürfte regelmäßig der Beginn ab dem Tag „des Vertragsabschlusses“ (Gestaltungshinweis Ziffer 1 a), passen. Die in den Gestaltungshinweisen 1 b) bis e) benutzten Begriffe „Ware“ und „Besitz“ erscheinen – was die Abwicklung einer Bestellung anbelangt – nicht zweckmäßig und treffen auf die regelmäßige Situation des sofortigen Downloads nicht zu. Kaufrechtliche Begriffe verwendet der Gesetzgeber bei digitalen Produkten nicht, sondern spricht von „Bereitstellung“ (§ 327a Abs. 1 S. 1 BGB).
Der Belehrungstext im Gestaltungshinweis Nr. 6 sollte unter Berücksichtigung des § 356 Abs. 5 Nr. 2 lit d) in Verbindung mit § 312f Abs. 3 BGB (nachvertragliche „Bescheinigung“ auf einem dauerhaften Datenträger, z.B. Email oder Papier) aus Gründen des sichersten Weges ergänzt und umformuliert werden. Dabei ist es ratsam, sich insbesondere an den Formulierungen in § 312f Abs. 3 BGB zu orientieren. Der diesbezügliche Teil der Belehrung könnte wie Folgt aussehen:
„Ihr Widerrufsrecht erlischt bei einem Vertrag über die Lieferung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten dann, wenn wir mit der Ausführung des Vertrages begonnen haben, nachdem Sie Ihre ausdrückliche Zustimmung gegeben haben, dass wir mit der Vertragserfüllung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnen, Sie gleichzeitig Ihre Kenntnis davon bestätigt haben, dass Sie Ihr Widerrufsrecht mit Ihrer Zustimmung zum Beginn der Vertragsausführung verlieren, und wir Ihnen weiterhin noch eine Abschrift oder eine Bestätigung des Vertrags auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung gestellt haben, in der festgehalten wird:
-
- dass Sie ausdrücklich zugestimmt haben, dass wir mit der Ausführung des Vertrags vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnen, und
- Sie Ihre Kenntnis davon bestätigt haben, dass Sie durch Ihre Zustimmung mit Beginn der Ausführung des Vertrags Ihr Widerrufsrecht verlieren.“
Dr. Harald Schneider
Rechtsanwalt + Fachanwalt für IT-Recht