Rechtsprechung

OLG Nürnberg: Inhalte im Archiv einer Wayback-Machine lösen keine Vertragsstrafe aus

Die Betreiberin einer Webseite hatte sich gegenüber der Vertreiberin von Kartenmaterialien verpflichtet, bestimmte von ihr benutzte Kartenausschnitte nicht weiter zu vervielfältigen und/oder öffentlich zugänglich zu machen. Insofern löschte die Webseitenbetreiberin (Unterlassungsschuldnerin) die Kartenausschnitte, so dass diese über die Navigationsmöglichkeiten der Webseite nicht mehr abrufbar waren. Die Vertreiberin des Kartenmaterials (Unterlassungsgläubigerin) stieß in der Folgezeit auf zwei Kartenausschnitte der Unterlassungsschuldnerin, die über ein Internetarchiv (Wayback-Machine) aufrufbar waren. Ferner konnten die beiden Kartenausschnitte noch mittels der Eingabe der genauen URL im Browser aufgefunden werden. So war es möglich, bei Eingabe der Suchbegriffe „Notfalltreffpunkt O. der ST.“ bei der Microsoft-Suchmaschine B. bzw. der Suchbegriffe „einsatzplan o. der st.“ und „einsatzplan r. l.“ bei der Suchmaschine von G… jeweils als oberstes Suchergebnis der Link zur Webseite der Unterlassungsschuldnerin angezeigt zu erhalten. Die Unterlassungsgläubigerin (im Folgenden „Klägerin“) verlangte von der Unterlassungsschuldnerin (im Folgenden „Beklagte“) die Zahlung zweier nach ihrer Ansicht verwirkter Vertragstrafen. Da keine Zahlung erfolgte, reichte die Klägerin Klage vor dem LG Nürnberg-Fürth ein. Dieses wies diese mit Urteil vom 19.10.2023, Az. 19 O 6791/22, ab. Die von der Klägerin eingelegte Berufung blieb erfolglos. Das OLG Nürnberg (Hinweisbeschluss vom 19.02.2024, Az. 3 U 2291/23) schloss sich der Auffassung der Vorinstanz an. Ein öffentliches Zugänglichmachen liege dann nicht vor., wenn nur eine recht kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl von Personen betroffen ist, wobei es darauf ankommt, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang haben können (BGH, Urteil vom 27.05.2021, Az. I ZR 119/20, Rn. 14 – Lautsprecherfoto). Erforderlich sei das Übersteigen einer bestimmten Mindestschwelle (EuGH, Urteil vom 31.05.2016, Rechtssache C-117/15, Rn. 43 – Reha Training).

Bei der weiterhin bestehenden Auffindbarkeit der streitgegenständlichen Kartenausschnitte über die Eingabe der genauen URL fehlt es nach der Auffassung des OLG Nürnberg an der Öffentlichkeit der Zugänglichmachung. Auf Grund der eigentümlichen Buchstaben-Zahlen-Kombination, die die Beklagte zur Bezeichnung ihrer Einsatzpläne verwendet hatte und die in dieser Form für den jeweiligen Einsatzplan auch in die längere URL hätte eingegeben werden müssen, könne nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass die URL-Adresse nur von Personen eingegeben werden könne, die diese Adresse zuvor – als die Kartenausschnitte noch im Rahmen des Internetauftritts der Beklagten über die Systemnavigation frei zugänglich gewesen seien – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert hätten. Vor diesem Hintergrund könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine Wiedergabe gegenüber recht vielen Personen gegeben ist.

Auch bezüglich der Aufnahme der Kartenausschnitte in das Archiv der Wayback-Machine fehle es an den Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe i.S.v. § 15 Abs. 2 UrhG, da die Beklagte über die Webseiten der Wayback-Maschine nicht absichtlich und gezielt Dritten einen Zugang zu den Kartenausschnitten verschafft und auch Umstände, die im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung von Bedeutung sind, gegen eine Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungsvertrag sprechen. In diesem Zusammenhang wies das Gericht auf den Zweck der Wayback-Machine hin, eine Internetbibliothek mit dem Ziel zu schaffen, Forschern, Historikern, Wissenschaftlern und allen weiteren Interessierten einen permanenten Zugang insbesondere zu nicht mehr vorhandenen Webseiten zu bieten. So wie die fortdauernde Auffindbarkeit einer früheren, mittlerweile zu unterlassenden Werbung in der Wayback-Machine mangels Marktbezugs keine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG darstellt, da die Auffindbarkeit darüber kein denkbarer Kanal zur Absatzförderung ist, liege kein urheberrechtlich relevantes Verschaffen eines Zugangs zum geschützten Werk vor, da dem durchschnittlichen Internetnutzer bekannt sei, dass es sich bei den von der Wayback-Maschine vorgehaltenen Seiten um eine frühere Fassung des Internetauftritts handelt. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Seiten der Wayback-Machine nicht von üblichen Internet-Suchmaschinen durchsucht werden können. Vielmehr muss der Internetnutzer das Internetarchiv aufrufen und dort – da das Archiv keine eigene Suchfunktion aufweist – gezielt nach Inhalten suchen.

Ebenso hatte bereits das LG Karlsruhe, Urteil vom 16.02.2023, Az. 13 O 2/23 KfH, die Thematik im Hinblick auf Inhalte im Archiv einer Wayback-Machine beurteilt (siehe auch die Berichterstattung im Online-Magazin).