Ab dem 01.01.2022 haben sich erhebliche Änderungen im Sachmängelrecht ergeben. Grundlage ist das „Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrages“, das der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/771 („Warenkaufrichtlinie = WKRL) dient. An dieser Stelle soll auf eine spezielle Thematik eingegangen werden, die auf Grund der Gesetzesänderungen praxisrelevant geworden ist. Konkret geht es um Händler, die sog. „B-Ware“ oder Ware mit gewissen Mängeln vertreiben. Bislang war es insofern üblich, auf gewisse Fehler oder mögliche Fehler des Produkts in der Artikelbeschreibung hinzuweisen und so eine im Wert reduzierte Ware zum Kaufgegenstand zu machen. Dieser Weg funktioniert seit dem 01.01.2022 so nicht mehr. Dazu ist es erforderlich, dass sich die Händler mit der neuen Systematik (§ 476 BGB n. F.) vertraut machen:
§ 476 BGB n. F. lautet:
„§ 476 Abweichende Vereinbarungen
(1) Auf eine vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer getroffene Vereinbarung, die zum Nachteil des Verbrauchers von den §§ 433 bis 435, 437, 439 bis 441 und 443 sowie von den Vorschriften dieses Untertitels abweicht, kann der Unternehmer sich nicht berufen. Von den Anforderungen nach § 434 Absatz 3, § 475b Absatz 4 und 5 oder § 475c Absatz 3 kann vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer durch Vertrag abgewichen werden, wenn
- der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Sache von den objektiven Anforderungen abweicht, und
- die Abweichung im Sinne der Nummer 1 im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.
(2) Die Verjährung der in § 437 bezeichneten Ansprüche kann vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer nicht durch Rechtsgeschäft erleichtert werden, wenn die Vereinbarung zu einer Verjährungsfrist ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn von weniger als zwei Jahren, bei gebrauchten Sachen von weniger als einem Jahr führt. Die Vereinbarung ist nur wirksam, wenn 1. der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung von der Verkürzung der Verjährungsfrist eigens in Kenntnis gesetzt wurde und 2. die Verkürzung der Verjährungsfrist im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten unbeschadet der §§ 307 bis 309 nicht für den Ausschluss oder die Beschränkung des Anspruchs auf Schadensersatz.
(4) Die in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Vorschriften sind auch anzuwenden, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.“
- 476 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt kategorisch, dass sich ein Händler vor Mitteilung eines Mangels gegenüber einem Verbraucher nicht auf eine für den Verbraucher nachteilige Vereinbarung berufen kann, durch die Gewährleistungsrechte des Verbrauchers eingeschränkt werden. Damit ist eine Vereinbarung, eine möglicherweise oder auch tatsächlich mit Fehlern behaftete Ware zum Kaufgegenstand zu machen, grundsätzlich unwirksam. Was genau unter „ausdrücklich und gesondert vereinbart“ zu verstehen ist, wird sich durch die künftige Rechtsprechung sicherlich noch weitergehend klären.
Allerdings lässt § 476 Abs. 1 S. 2 BGB unter zwei Voraussetzungen eine Ausnahme zu. Die erste Voraussetzung, dass der Verbraucher vor Abgabe seiner Vertragserklärung über Defizite der Ware in Kenntnis gesetzt wurde, entspricht der bisherigen Praxis, in einer Artikelbeschreibung hinreichend deutlich auf „B-Ware“, Retourenrückläufer oder bestimmte Mängel hinzuweisen. Die zweite Voraussetzung ist eine deutliche Verschärfung gegenüber der früheren Rechtslage, da der Händler nun zeitgleich mit dem Kaufvertragsabschluss eine ausdrückliche und gesonderte Vereinbarung treffen muss. Die sog. negative Beschaffenheitsvereinbarung lässt sich im eigenen Webshop, auf den der Händler Einflussmöglichkeiten hat, voraussichtlich gesetzeskonform umsetzen. AGB-mäßige Standardlösungen für verschiedene Waren dürften dabei generell ausscheiden. Was z.B. die Plattform Amazon anbelangt, ist das Problem im Grunde nicht neu, wird allerdings nur noch verstärkt. Ob es für die von Händlern angebotenen „B-Waren“ usw. dort überhaupt eine ausreichende Artikelbeschreibung als ASIN gibt, lässt sich bereits bezweifeln.
Falls eine wirksame negative Beschaffenheitsvereinbarung, die „ausdrücklich und gesondert“ getroffen werden muss (und die nur auf Grund einer entsprechend ausführlich formulierten Warenpräsentation erfolgen kann) fehlt, kann der Verbraucher Mängelhaftungsansprüche geltend machen. Sofern Mängel bzw. sonstige Einschränkungen in der Artikelbeschreibung lediglich erwähnt werden, aber eine gesetzeskonforme und formgerechte Vereinbarung fehlt, kann der Verbraucher letztendlich eine mangelfreie Ware verlangen.
Ferner ist davon auszugehen, dass eine nicht hinreichende negative Beschaffenheitsvereinbarung (beim Vertrieb von „B-Ware“ bzw. minderwertiger bzw. beschädigter Ware) auch wettbewerbsrechtlich relevant werden kann vor dem Hintergrund der Irreführung betreffend die Information über wesentliche Eigenschaften der Ware.
Dr. Harald Schneider
Rechtsanwalt
Fachanwalt für IT-Recht