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KG Berlin: Zur Frage, wann unangekündigte Werbebesuche an der Haustüre wettbewerbswidrig sind

Ein externer Vertriebsmitarbeiter eines Energieversorgungsunternehmens suchte einen Verbraucher unangekündigt in dessen Wohnung auf. Der Verbraucher ließ ein Gespräch zu und unterzeichnete schließlich ein Formular für den Wechsel des Energieversorgers. Der Verbraucher wendete sich später an einen klagebefugten Verband und behauptete, der Vertriebsmitarbeiter habe erklärt, dass die Hausverwaltung ihn als Mitarbeiter der zuständigen Stadtwerke beauftragt habe, den Hausbewohnern einen neuen Stromtarif anzubieten. Der Vertriebsmitarbeiter habe die zu unterzeichnenden Formulare so geschickt geknickt, dass er das Logo der Beklagten verdeckt habe. Nach erfolgloser Abmahnung verklagte der Verband den Energieversorger auf Unterlassung,

„ … im Rahmen geschäftlicher Handlungen Verbraucher ohne deren vorherige Einwilligung in ihrer Privatwohnung aufzusuchen oder aufsuchen zu lassen, um ihnen den Abschluss eines Stromlieferungsvertrages anzubieten oder anbieten zu lassen, wenn dies geschieht wie am 19. Oktober 2017 bei Herrn … aus Bad Fallingbostel,

hilfsweise

im Rahmen geschäftlicher Handlungen sich gegenüber Verbrauchern zur Anbahnung von Vertragsgesprächen an der Wohnungstür als Mitarbeiter der Stadtwerke … GmbH und / oder als Beauftragte der Hausverwaltung auszugeben.“

Das LG Berlin (Urteil vom 18.12.2018, Az. 16 O 49/18) gab der Klage im Hauptantrag statt. Es teilte die Sichtweise des Klägers, dass der unangekündigte Haustürbesuch eine belästigende Werbung im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 UWG darstelle. Das Klingeln an der Tür nötige den Verbraucher, seine aktuelle Tätigkeit zu unterbrechen, um zur Tür zu gehen und nachzusehen, wer der Besucher ist. Bereits die von dieser Unterbrechung ausgehende Belästigung werde vielfach als unangenehm empfunden, so z. B. bei Tätigkeiten, die eine gewisse Konzentration erfordern, bei körperlichen Gebrechen oder krankheitsbedingten Unpässlichkeiten. Zwar sehe der in seiner Beschäftigung gestörte Bewohner in der Regel darüber hinweg, wenn er den Besucher kennt oder es darum geht, einem Nachbarn einen Gefallen zu tun, etwa durch Annahme eines Paketes. Hier gehe es jedoch um einen Besuch, der im Rahmen der Kundenakquise vornehmlich dem Besucher selbst dient. Entgegen der Ansicht des beklagten Energieversorgers könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Vertriebsmitarbeiter unproblematisch über die Gegensprechanlage abgewiesen werden kann. Einfamilien- oder Reihenhäuser verfügen ebenso wie Mehrfamilienhäuser nicht zwangsläufig über Gegensprechanlagen. Außerdem lasse sich dieses Zugangshindernis in Mehrfamilienhäusern leicht durch eine falsche Angabe wie z. B. „Post“ umgehen. Eine andere Möglichkeit ist das „Hineinschlüpfen“, wenn eine Person das Haus verlässt oder hineingeht.

Gegen das Urteil legte die Beklagte Berufung ein und hatte teilweise Erfolg. Das KG Berlin (Urteil vom 01.12.2020, Az. 5 U 26/19) wies die Klage im Hauptantrag ab und verurteilte gemäß dem Hilfsantrag (täuschende Bezugnahme auf die Stadtwerke). Das Berufungsgericht  hat in seinem Urteil den Meinungsstand ausführlich dargestellt und kam unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Aspekte (Berufsfreiheit, Art. 12 GG) sowie der Rechtsprechung des BGH zu einer anderen Beurteilung als die Vorinstanz. Eine unbestellte Haustürwerbung sei zwar belästigend. Aber die Grenze der Unzumutbarkeit sei im „Normalfall“ noch nicht erreicht.

„Unzumutbar ist die Belästigung, wenn sie eine solche Intensität erreicht, dass sie von einem großen Teil der Verbraucher als unerträglich empfunden wird, wobei der Maßstab des durchschnittlich empfindlichen Adressaten zugrunde zu legen ist. Dabei kommt es nicht einseitig auf die Perspektive des Adressaten der geschäftlichen Handlung an. Die Unzumutbarkeit ist vielmehr zu ermitteln durch eine Abwägung der auch verfassungsrechtlich geschützten Interessen des Adressaten, von der Werbung verschont zu bleiben (Art. 2 Abs. 1 GG), und des werbenden Unternehmers, der seine gewerblichen Leistungen durch Werbung zur Geltung bringen will (Art. 5 Abs. 1, Art. 12 GG; vgl. BGH, Urt. v. 03.03.2011 – I ZR 167/09, GRUR 2011, 747 Rn. 17 –Kreditkartenübersendung; Senat, Urt. v. 18.10.2013 –5 U 138/12 –, juris Rn. 22).“

Nur dann, wenn besondere Umstände die Gefahr einer untragbaren oder sonst wettbewerbswidrigen Belästigung und Beunruhigung des privaten Lebensbereichs ergeben, sei von einem Wettbewerbsverstoß auszugehen. Auch aus dem Europarecht, insbesondere aus der UGP-Richtlinie (2005/29/EG), könne nicht abgeleitet werden, dass unangekündigte Haustürbesuche bei Verbrauchern oder Haustürbesuche ohne deren Einwilligung grundsätzlich wettbewerbsrechtlich unzulässig sind.