Unter dem Titel „Abmahnstudie 2016“ hat der Händlerbund einen recht emotionalen Beitrag („Abmahnwahnsinn“) ins Netz gestellt. Die dort genannten empirischen Daten sind für den Leser nicht überprüfbar. Angeblich sollen 24 Prozent der deutschen Onlinehändler im Jahre 2016 eine Abmahnung eines Mitbewerbers oder eines Vereins erhalten haben. Zwei Drittel aller Abmahnungen sollen Kosten „bis 1.000 Euro“ verursacht haben.
Hier zeigt sich bereits die Unschärfe des Beitrages. Kosten von „bis 1.000 Euro“ können auch Kosten der nach § 8 Abs. 3 UWG aktivlegitimierten Verbände (Unternehmensverbände, Industrie- und Handelskammer, Verbraucherverbände) sein, die regelmäßig um die 200 EUR als Aufwandsentschädigung berechnen. Wie in solchen Konstellationen die weiteren, „bis 1.000 Euro“ zustande gekommen sein sollen, wird nicht angegeben (ggf. Kosten des die Abmahnung prüfenden Anwalts?). Wie viele (ggf. missbräuchlich handelnde) Abmahnungen von Mitbewerbern darunter sind, ist nicht ersichtlich. Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, eine Behörde zu schaffen, die Wettbewerbsverstöße verfolgt. Stattdessen haben Mitbewerber und Verbände die Befugnis erhalten, Wettbewerbsverstöße zu verfolgen. Deren Tätigkeit erfüllt letztendlich einen gesetzlichen Auftrag. Denn gäbe es keine Mitbewerber und Verbände, die ihre Aufgaben wahrnehmen, so fände auch keine Ahndung von Verstößen statt. Verbände, die auf Grund ihrer Aktivlegitimation (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG) handeln, erfüllen eine ideelle Aufgabe im Interesse des Gemeinwohls. Es ist daher eine verkehrte Welt, die der Händlerbund hier darzustellen versucht. Die Wettbewerbsstörer (Täter im rechtlichen Sinne) werden als Opfer dargestellt. Dass die „Opfer“ dann auch noch durch anhaltende Uneinsichtigkeit weitere Rechtsverfolgungskosten produzieren, kann kein Verständnis hervorrufen und schon gar nicht dem Abmahner angelastet werden, der nur die Einhaltung der Rechtsordnung begehrt. Wer nach einer Abmahnung durch einen Verband i.S.d § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG die Gelegenheit nicht nutzt, auf eine berechtigte Abmahnung (die ihn ca. 200 EUR an Aufwandserstattung kostet) seine Fehler abzustellen, sondern diese beibehält und sich auch konzeptionellen Aufwand (Bereinigung seiner Angebote, Rechtsberatungskosten für die Verbesserung seiner Rechtstexte usw.) erspart, ist selbst Schuld, wenn er sich damit in die Kosten treibt.
Bei markenrechtlichen Abmahnungen ist ferner zu berücksichtigen, dass der Gegenstandswert deutlich höher gelegen ist als im Wettbewerbsrecht. Selten werden markenrechtliche Abmahnungen mit einem Streitwert unter oder gleich 25.000 Euro ausgesprochen, den Regelfall dürften Abmahnungen von einem Streitwert von 50.000 bis 100.000 Euro darstellen. Insbesondere wenn bekannte Marken Grundlage der Abmahnung sind, sehen Gerichte regelmäßig Streitwerte unter 100.000 Euro nicht als gerechtfertigt an. Die Aussprache einer Abmahnung auf Basis eines Streitwertes von 50.000 Euro verursacht bereits Netto-Kosten in Höhe von ca. 1.550 Euro. Erfahrungsgemäß sind markenrechtliche Abmahnungen gegen Online-Händler berechtigt. Wer sich daher mit einem eher markenrechtlich nicht versierten Anwalt gegen eine solche berechtigte Abmahnung verteidigt, ggf. noch die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens riskiert, kann mit Kosten jenseits von 3.000 Euro belastet werden. Es konnte jedoch ebenfalls die Erfahrung gemacht werden, dass bei der Einschaltung eines markenrechtlich erfahrenen Anwaltes die an den Abmahner zu erstattenden Kosten deutlich (teilweise sogar bis auf 0) reduziert werden können (was letztlich von der Person des Abmahners abhängt). Berechtigte markenrechtliche Abmahnungen müssen daher nicht zu den hohen, von dem Händlerbund angegebenen Kosten führen, wenn man fachlich versierte Anwälte mit der Sachbearbeitung beauftragt.
Die scheinbar erkennbare Gedankenwelt des Autors der „Abmahn-Studie“, ungestört gegen Rechtsvorschriften verstoßen zu dürfen, irritiert. Die im Bereich des Wettbewerbsrechts erfolgende Erfüllung gesetzgeberischer Aufgaben der Unternehmensverbände, Industrie- und Handelskammer, Verbraucherverbände und Mitbewerber als „Abmahnwahnsinn“ zu bezeichnen, missachtet die gesetzlichen Vorgaben. Im Bereich des Markenrechts ist es das gesetzlich vorgesehene Recht von Markeninhabern, einer Verwässerung ihrer Markenrechte, die sie durch den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel, teilweise über Jahrzehnte, aufgebaut haben, mittels Unterlassungsansprüchen etc. entgegen zu wirken. Das Gleiche gilt auch für das Urheberrecht.
Dass nach der Studie der Anteil an Gerichtsverfahren im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sein soll, kann ferner verschiedene Ursachen haben. Die bloße Darstellung als solche ist daher nicht aussagekräftig. Sofern eine berechtigte Abmahnung (unabhängig von der Rechtsmaterie) ausgesprochen worden ist, führt jedwedes Gerichtsverfahren zu (unnötigen) Kosten. Ob diese Kosten ausgelöst worden sind, weil der Abmahner auf die Abmahnung gar nicht reagiert hat, weil der eingeschaltete und die Abmahnung bearbeitende Anwalt in Unkenntnis der rechtlichen Materie empfohlen hat, keine Unterlassungserklärung abzugeben, weil der Abmahner aus taktischen Gründen keine Unterlassungserklärung abgeben wollte, oder weil der bearbeitende Anwalt aus anderen Gründen empfohlen hat, keine Unterlassungserklärung abzugeben, wird nicht dargestellt. Die Gründe für die Einleitung von Gerichtsverfahren sind daher mannigfaltig und nicht dem Abmahner zuzuschreiben. Man muss bei solchen Statistiken immer auch berücksichtigen, dass im Regelfall auf Seiten des Abgemahnten ein Anwalt die Angelegenheit berät und daher auf den Fortgang der Angelegenheit, inkl. etwaiger Gerichtsverfahren, maßgeblichen Einfluss hat. An dieser Stelle ist vielfach zu beobachten, dass Abgemahnte in Folge anwaltlicher Beratung Gerichtsverfahren ausgesetzt sind, die ein gut beratener und wirtschaftlich denkender Unternehmer nicht, z. B. durch fehlende Reaktion oder ähnliches, provoziert hätte.
Die rechtswidrig handelnden Unternehmen ersparen sich zudem auch die laufenden Kosten für die rechtliche Prüfung und Pflege ihrer Webseiten, der AGB und sonstigen Informationen gegenüber Verbrauchern (unlauterer Vorsprung durch Rechtsbruch). Was der Händlerbund zudem vergisst, ist der Umstand, dass mangelhafte Rechtstexte, z. B. Widerrufsbelehrungen, einen Einfluss auf die vertragliche Situation haben (z. B. läuft die Widerrufsfrist bei einer mangelhaften oder fehlenden Belehrung erst nach einem Jahr und 14 Tagen ab bzw. bestehen ggf. keine Wertersatzansprüche bei Rückgabe auf Grund Widerrufs).
Die Einhaltung der gesetzlichen Normen (unabhängig von der Rechtsmaterie) kann man daher nicht als Wahnsinn, sondern nur als selbstverständliche und auch sinnvolle Verpflichtung eines jeden Unternehmers ansehen.