Update:
Mit Urteil vom 26.01.2023, Az. I ZR 111/22 – Mitgliederstruktur, hat der BGH das Urteil des OLG Düsseldorf aufgehoben, die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und das erstinstanzliche Urteil des LG Krefeld zugunsten des IDO Verband e.V. wiederhergestellt. Der BGH hat im Rahmen des Freibeweises die Aktivlegitimation des Verbands selbst überprüft und diese bejaht. Die Vereinsstruktur des IDO Verband e.V. mit einer Vielzahl passiver Mitglieder ist nicht zu beanstanden.
In einem kürzlich vom BGH entschiedenen Verfahren (Kläger war der IDO Verband e.V.) hatte der BGH die Aktivlegitimation des Vereins selbst überprüft und (wie auch die Vorinstanzen) für gegeben erachtet (Urteil vom 19.05.2022, Az. I ZR 69/21). Der BGH hatte das Urteil des OLG Naumburg aufgehoben und ein Versäumnisurteil gegen die Beklagtenseite mit dem vom Kläger vor dem LG Halle gestellten Antrag erlassen. Dort hat der BGH – insofern wie üblich – ausgeführt, dass er die Voraussetzungen der Klagebefugnis im Wege des Freibeweises selbst prüfen kann. Die Tatsachen müssen „müssen spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben und im Revisionsverfahren fortbestehen“.
Insofern verwundert eine später ergangene Entscheidung des OLG Düsseldorf (Urteil vom 23.06.2022 – 20 U 325/20), mit der die Aktivlegitimation in Kenntnis der BGH-Entscheidung verneint wurde mit der Begründung, das Verhältnis von passiven zu aktiven Mitgliedern stimme nicht (zu wenig aktive Mitglieder). Die Vorinstanz LG Krefeld (Urteil vom 04.11.2020, Az. 11 O 80/19) hatte der Klage entsprochen. Das OLG Düsseldorf hat allerdings die Revision zugelassen. Diese wurde inzwischen eingelegt und begründet (BGH, Az. I ZR 111/22).
I. Tatsächliche Motivation des OLG Düsseldorf bezüglich der Revisionszulassung
In zwei – zur Musterfeststellungsklage nach § 606 ZPO verkündeten – Entscheidungen hat der BGH (Urteil vom 17.11.2020, Az. XI ZR 171/19; Beschluss vom 17.11.2020, XI ZB 1/19) dargestellt, welche Anforderungen die Mitglieder einer qualifizierten Einrichtung im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG erfüllen müssen, wenn die qualifizierte Einrichtung die Klagebefugnis für eine Musterfeststellungsklage (§ 606 ZPO) in Anspruch nehmen will. Eine der zu erfüllenden Voraussetzungen ist, dass solche Einrichtungen „als Mitglieder mindestens zehn Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 350 natürliche Personen haben“ müssen (§ 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZPO). Im Verfahren zum Az. XI ZR 171/19 hat der BGH die Auffassung der Vorinstanz (OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18) bestätigt, dass bei den natürlichen Personen nur stimmberechtigte Mitglieder mitzählen.
Wie sich aus Hinweisen des OLG Düsseldorf im eingangs genannten Verfahren ergibt, wollte das Gericht im Verfahren nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a. F. eine Analogie zu den Anforderungen des Musterfeststellungsklageverfahrens (§§ 606 ff. ZPO) herstellen. Aus einer Verfügung vom 12.02.2022 ergibt sich bereits die Absicht, den Fall vor den BGH zu bringen. Dort führt der Senat aus, ihm sei die Reichweite des BGH-Urteils vom 17.11.2020 nicht klar.
„Die Satzung des Beklagten unterscheidet zwischen aktiven und passiven Mitgliedern. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 17.11.2020 (XI ZR 171/19) und Beschluss vom gleichen Tage (XI ZB 1/19) entschieden, dass nur „aktive Mitglieder“ im Rahmen des § 606 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zählen. Der Bundesgerichtshof (GRUR 2007, 610) hat dies für das UWG bisher nicht grundsätzlich beanstandet, aber Vorgehalte geäußert, dass dies unter bestimmten Umständen auf Rechtsmissbrauch hindeuten könnte. Es ist bisher unbekannt, wie viele aktive Mitglieder es gibt und aus welchen Bereichen sie stammen. Die Tatsache, dass auch nach neuem Recht mittelbare Mitglieder ausreichen, ist nach Auffassung des Senats insoweit unerheblich.“
Nachdem der klagende Verband rechtlich gegen eine Analogie argumentiert hatte, verließ den Senat der Mut zu einer „offen“ bezeichneten Analogie, zumal inzwischen andere Gerichte die von dem OLG Düsseldorf beabsichtigte Übertragung der Vorgaben des Musterfeststellungsverfahrens auf die Aktivlegitimation des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a. F. als rechtlich abwegig bezeichnet hatten.
Im Urteil findet sich daher im Grund nur noch der verklausulierte Hinweis, dass im Falle einer Revision doch bitte die Analogie geprüft werden möge, wenn die Urteilsbegründung in der Hauptbegründung nicht halten solle („Analogie“ werde offengelassen):
„Auf die Frage, ob wie im Rahmen des § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZPO (hierzu BGH NJW 2021, 1014 – Musterfeststellungsklage – Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen) auch im Rahmen der Prüfung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aF stets nur aktive Mitglieder zu berücksichtigen sind, kommt es somit nicht an.“
Überzeugend begründbar wäre eine solche Analogie nicht gewesen. Allerdings ist die Urteilsbegründung des OLG Düsseldorf nichts Anderes als die Übertragung der Gedankengänge des BGH aus dessen Urteil zur Musterfeststellungsklage auf das UWG. Das OLG Düsseldorf möchte die passiven Mitglieder nicht mitzählen, weil es seiner Ansicht nach zu viele stimmrechtslose Mitglieder sind. Genau das hat der BGH für das UWG als unmaßgeblich angesehen. Die bloße Passivität von Mitgliedern ist aber kein Rechtsproblem im UWG, abgesehen davon, dass solche Strukturen bei Vereinen regelmäßig vorkommen, von den Vereinsregistern nicht beanstandet werden und sich hierfür auch gute sachliche Gründe anführen lassen. Mit den Gründen für die Struktur des Verbandes hat sich das OLG Düsseldorf nur unzureichend, lebensfremd und einseitig auseinandergesetzt.
Soweit das OLG Düsseldorf ein Urteil des „OLG Celle WRP 2020,751“ anführt, ist dazu auszuführen, dass das OLG Celle in dieser Entscheidung ausdrücklich nicht über die Aktivlegitimation entschieden, diese vielmehr offengelassen hat. Dieses Verfahren befand sich im Übrigen auch beim BGH (Az. I ZR 72/20), wobei die Revision hier zurückgenommen wurde, weil der EuGH (zum Umfang der Informationspflicht zu Herstellergarantien) eine andere Rechtsauffassung als die Klägerseite vertreten hat.
II. Revisionsgründe gemäß Berufungsurteil
Auf S. 13 des Berufungsurteils führt das OLG Düsseldorf auf fünf Zeilen mehrere vermeintliche Revisionsgründe an, lässt aber seinen „eigentlichen Grund“ (dazu vorstehend) unerwähnt. Als Rechtsnorm wird § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO und insoweit der Grund „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ angeführt. Die Argumentation des Senats ist nicht stichhaltig.
- „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“
Die Rechtsprechung in Bezug auf die passive Mitgliedschaft von Wettbewerbsverbänden hat der BGH längst dahingehend geklärt, dass diese grundsätzlich zulässig ist. Es gibt bislang auch keine abweichende OLG-Entscheidung dahingehend, dass passive Mitglieder nicht mit zu berücksichtigen sind. Zudem hat der BGH, was dem OLG Düsseldorf bekannt war, aber in dessen Urteil unerwähnt blieb, mit eingangs benanntem Urteil vom 19.05.2022, Az. I ZR 69/21, die Aktivlegitimation des klagenden Vereins im Freibeweisverfahren selbst überprüft und anerkannt.
In einem Urteil vom 16.11.2006, Az. I ZR 218/03 – Sammelmitgliedschaft V, hat der BGH ausgeführt, dass es für die Klagebefugnis eines Verbands irrelevant ist, ob und welche Rechte die Mitglieder innehaben:
„Für die Klagebefugnis eines Verbands kommt es grundsätzlich nicht darauf an, über welche mitgliedschaftlichen Rechte dessen – mittelbare oder unmittelbare – Mitglieder verfügen.“
sowie
„Auf die Frage, ob die Organisation, die dem klagenden Verband Mitglieder vermittelt, bei diesem stimmberechtigt ist, kommt es nur an, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Mitgliedschaft der Organisation dazu dienen sollte, künstlich die Voraussetzungen für die Verbandsklagebefugnis zu schaffen (vgl. BGH GRUR 2006, 873 Tz 20 – Brillenwerbung). Nicht erforderlich ist es, dass die unmittelbaren Mitglieder den klagenden Verband jeweils noch ausdrücklich zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen ermächtigt haben (vgl. BGH, Urt. v. 27.1.2005, I ZR 146/02 – Sammelmitgliedschaft III).“
Sogar (infolge Beitrittsmängeln) faktische Mitgliedschaften sind nach Ansicht des BGH ausreichend (BGH, Urteil vom 18.05.2006, Az. I ZR 116/03 – Brillenwerbung):
„Wird die Mitgliedschaft in einem Wettbewerbsverband durch einen anderen Verband vermittelt, so können die Unternehmer, die Mitglieder des vermittelnden Verbands sind, dem Wettbewerbsverband auch dann i.S. des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG angehören, wenn wegen eines Beitrittmangels nur eine faktische Mitgliedschaft in dem Wettbewerbsverband besteht.“
Ferner hat der BGH (Urteil vom 23.10.2008, Az. I ZR 197/06 – Sammelmitgliedschaft VI) sogar ein einziges unmittelbares Mitglied und 8 mittelbare Mitglieder als ausreichend angesehen. Dass mittelbare Mitglieder keine Stimmrechte pp. haben, muss nicht weiter erläutert werden.
Die mittelbare Mitgliedschaft hat der BGH ein weiteres Mal in seinem Urteil vom 27.04.2017, I ZR 55/16 – Preisportal, als ausreichend bewertet (unter Bezug auf seine Entscheidungen „Brillenwerbung“ und „Sammelmitgliedschaft III“):
„Bei der Prüfung, ob einem Verband eine erhebliche Zahl von Wettbewerbsunternehmen angehört, können auch solche Unternehmer zu berücksichtigen sein, die Mitglied in einem Verband sind, der seinerseits Mitglied des klagenden Verbands ist (BGH, Urteil vom 27. Januar 2005 – I ZR 146/02, GRUR 2005, 689, 690 = WRP 2005, 1007 – Sammelmitgliedschaft III; BGH, GRUR 2006, 873 Rn. 15 – Brillenwerbung).“
Gemessen an den Grundsätzen der BGH-Rechtsprechung, wonach schon mittelbare Mitglieder sowie faktische Verhältnisse ausreichen, sind die passiven Mitglieder vereinsrechtlich weitaus besser gestellt. Ihnen stehen im Falle des OLG Düsseldorf sämtliche Mitgliedsrechte wie aktive Mitglieder zu mit der einzigen Ausnahme, dass sie nicht stimmen können. Sie können aber ansonsten in jedweder Weise mitwirken. Letztendlich können sie sich sogar um eine aktive Mitgliedschaft bemühen, wenn sie einen aktiven Beitrag leisten wollen.
Zur „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ mag eine Revision daher wohl eher nicht geboten sein.
- Alte Aktivlegitimation kommt „nur noch übergangsweise zur Anwendung“
Was die Aussage des OLG Düsseldorf, die alte Fassung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG sei nur noch übergangsweise anzuwenden, mit einem Revisionsgrund zu tun hat, ist unverständlich. Die „grundsätzliche Bedeutung“ (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO) untermauert dies jedenfalls nicht. Diese Norm führt das Gericht auch nicht an.
- „Vielzahl von Parallelverfahren“
Entgegen der Ansicht des OLG Düsseldorf gibt es keine „Vielzahl von Parallelverfahren“. Dies ist schlicht falsch.
- „Divergierende Entscheidungen“
Wie bereits unter II 1) ausgeführt, gibt es keine „divergierenden Entscheidungen“, nur eine durch mehrere Entscheidungen gefestigte Rechtsprechung des BGH, der die übrigen Oberlandesgerichte folgen. Die Divergenz besteht also tatsächlich darin, dass das OLG Düsseldorf – inspiriert durch eine Entscheidung des BGH zu stimmrechtslosen Mitgliedern im Musterfeststellungsklageverfahren (§§ 606 ff. ZPO) – anscheinend schlichtweg aus Interesse, etwas Neues zu generieren, von der BGH-Rechtsprechung abgewichen ist, dies aber so nicht ausführen wollte.
III. Fazit
Der BGH hat also nun demnächst Gelegenheit klarzustellen, ob seine bisherige Rechtsprechung, wonach Stimmrechte grundsätzlich im Rahmen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG a.F. irrelevant sind, weiterhin gilt, ggf. verbunden mit Hinweisen zur Rechtslage nach neuem Recht.