Am 01.12.2021 ist § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG (n.F.) auf Grund des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs in Kraft getreten, wonach Wirtschaftsverbände nunmehr der Eintragung in eine Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG bedürfen, um Ansprüche aus § 8 Abs. 1, 3 Nr. 2 UWG geltend machen zu können. Derzeit ist in der Rechtsprechung aber noch nicht abschließend geklärt, welche Auswirkungen eine (noch) nicht erfolgte Aufnahme in die Liste nach § 8b UWG für Alt-Titel sowie Alt-Unterwerfungsverträge hat.
Mit dieser Thematik – in Bezug auf eine Vertragsstrafenforderung – hatte sich das LG Flensburg (Urteil vom 03.11.2023, Az. 6 HKO 26/22; rechtskräftig nach Berufungsrücknahme vor dem OLG Schleswig, Az. 6 U 50/23) befasst. Zwischen dem Kläger, einem Unternehmerverband, dessen Registrierungsverfahren beim Bundesamt für Justiz noch nicht abgeschlossen ist, und der Beklagten, Betreiberin eines Webshops für Hundefutter, besteht ein im Februar 2021 geschlossener Unterlassungsvertrag, der nach einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung zustande kam. Im Juli 2022 stellte der Kläger einen Verstoß gegen die Unterlassungspflicht (Angabe des Grundpreises neben dem Gesamtpreis) fest. Die Beklagte verweigerte die Zahlung, erklärte die Anfechtung sowie die hilfsweise Kündigung des Unterlassungsvertrags. Daraufhin klagte der Kläger gegen die Beklagte auf Zahlung der geltend gemachten Vertragsstrafe.
I. Kündigungserklärung wirkt nur ex nunc
Da die Anfechtungsvoraussetzungen nicht vorlagen, befasste sich das LG Flensburg sodann mit der Frage, welche Wirkungen die Kündigungserklärung hat. Die Frage, ob diese nach § 314 Abs. 1 BGB wirksam war, ließ das Gericht zutreffender Weise dahinstehen. Denn die Kündigung konnte das Vertragsverhältnis allenfalls für die Zeit ab ihrer Erklärung (ex nunc) beenden (unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 26.09.1996, I ZR 194/95 – Altunterwerfung II; Urteil vom 06.07.2000, I ZR 243/97- Altunterwerfung IV). Ein zu diesem Zeitpunkt bereits begründeter Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe wegen eines vor der Kündigung begangenen Wettbewerbsverstoßes bleibt grundsätzlich somit bestehen.
II. Kein Rechtsmissbrauch wegen eventueller Kündigungsmöglichkeit
Das LG Flensburg prüfte sodann, ob der Geltendmachung der Vertragsstrafe der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegensteht. Nach der Rechtsprechung des BGH kann es im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn sich der Gläubiger auf ein nicht rechtzeitig gekündigtes Vertragsstrafeversprechen beruft. Hiervon ist zum einen dann auszugehen, wenn der vertraglich gesicherte gesetzliche Unterlassungsanspruch dem Gläubiger aufgrund der erfolgten Gesetzesänderung oder einer beachtlichen Rechtsprechungsänderung unzweifelhaft, d. h. ohne weiteres erkennbar, nicht mehr zusteht. Zum anderen ist einem Gläubiger die Geltendmachung des vertraglichen Anspruchs dann aus Treu und Glauben verwehrt, wenn seine Sachbefugnis eindeutig entfallen ist, weil er selbst auf dem einschlägigen Markt überhaupt nicht tätig ist bzw. seine Mitglieder es nicht mehr sind oder weil er – als Verband – die im Gesetz angesprochenen gewerblichen Interessen tatsächlich nicht mehr verfolgt (BGH. Urteil vom 26.09.1996, I ZR 265/95 – Altunterwerfung I). Dabei müssen Umstände vorliegen, die im Falle eines gerichtlichen Verbots die Vollstreckungsabwehrklage im Sinne des § 767 BGB begründen würden (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2014, I ZR 210/12 – fishtailparka).
Das LG Flensburg führte sodann aus, dass nach diesen Grundsätzen die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen Treu und Glauben nicht vorliegen. Die Verpflichtung zur Angabe des Grundpreises ergab sich im Zeitpunkt des Abschlusses der Unterlassungsvereinbarung aus § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV, § 2 Abs. 1 PAngV in der bis zum 27.05.2022 geltenden Fassung und bestand im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung gemäß § 4 Abs. 1 PAngV in der seit dem 28.5.2022 geltenden Fassung inhaltlich unverändert fort. Anzumerken ist insofern, dass sich das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs insofern ebenfalls nicht ausgewirkt hat. Anders als bei der UWG-Reform 1994, mit der durch die Änderung des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG zum 01.08.1994 die Voraussetzung geschaffen wurde, dass ein Verstoß geeignet sein muss, den Wettbewerb auf dem einschlägigen Markt wesentlich zu beeinträchtigen, somit bestimmte Ansprüche nicht mehr verfolgbar wurden, hatte die Reform 2020 gar keine Auswirkung auf den Umfang der (titulierten) materiell-rechtlichen Ansprüche. Das heißt, die Verstöße, die Gegenstand von in Alttiteln sind, wären (für in die Liste nach § 8b UWG eingetragene Verbände) weiterhin in gleichem Umfang verfolgbar und durchsetzbar gewesen.
Auch den derzeitigen Wegfall der Sachbefugnis für Abmahnungen sah das Gericht als unerheblich an. Nach der Rechtsprechung komme der Einwand des Rechtsmissbrauchs insofern in Betracht, wenn der Verband selbst oder seine Mitglieder auf dem einschlägigen Markt überhaupt nicht tätig sind oder wenn der Verband die im Gesetz angesprochenen gewerblichen Interessen tatsächlich nicht mehr verfolgt. Beiden Fällen ist gemein, dass der Verband eindeutig und endgültig die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen aufgegeben hat. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger, dessen Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt für Justiz noch nicht abgeschlossen ist, nicht vor. Das LG Flensburg verwies darauf, dass der Kläger seine Sachbefugnis wiedererlangen kann, wenn er in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände eingetragen wird:
„Der Kläger ist nicht in der vom Bundesamt für Jusitz geführten Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände eingetragen. Das führt allerdings nicht dazu, dass die Geltendmachung der Vertragsstrafe als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Nach der Rechtsprechung kommt der Einwand des Rechtsmissbrauchs wegen Wegfalls der Sachbefugnis in Betracht, wenn der Verband selbst oder seine Mitglieder auf dem einschlägigen Markt überhaupt nicht tätig sind oder wenn der Verband die im Gesetz angesprochenen gewerblichen Interessen tatsächlich nicht mehr verfolgt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn beiden Fällen ist gemein, dass der Verband eindeutig und endgültig die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen aufgegeben hat. Das ist nicht ersichtlich. Der Kläger kann seine Sachbefugnis wiedererlangen, wenn er in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände eingetragen wird.“
III. Ist eine wirksame Kündigung überhaupt möglich ?
Ob eine wirksame Kündigung des Unterlassungsvertrags möglich ist, hängt davon ab, ob es Umstände gibt, die im Falle eines gerichtlichen Verbots die Vollstreckungsgegenklage im Sinne des § 767 BGB begründen würden (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2014, I ZR 210/12 – fishtailparka).
In einem Rechtsbeschwerdeverfahren, in dem es darum ging, ob aus „Alttiteln“ noch Ordnungsmittelverfahren betrieben werden dürfen, hat der BGH (Beschluss vom 21.12.2023, Az. I ZB 42/23) auf einen wesentlichen Umstand hingewiesen, der zur Lösung führen wird. Denkbar ist es laut den dortigen Ausführungen des BGH, den Wegfall der Sachbefugnis des Vollstreckungsgläubigers auf Grund des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs zum Gegenstand einer Vollstreckungsabwehrklage zu machen. Insofern erwähnt der BGH vergleichend die Rechtslage, die durch das UWG-Änderungsgesetz vom 25.07.1994 (BGBl. I S. 1738) entstanden war (die im BGH-Beschluss enthaltene Jahreszahlangabe „1995“ wird als Schreibfehler angesehen). Der BGH merkt aber dazu an, dass dieses Gesetz keine dem § 15a Abs. 1 UWG vergleichbare Übergangsvorschrift enthielt. Man kann dies als Hinweis des BGH deuten, dass der Gesetzgeber damit für „Alttitel“ eine Bestandsgarantie gewähren wollte. Soweit damit die Möglichkeit der Vollstreckungsabwehrklage entfällt, hat dies eine „Reflexwirkung“ für Unterlassungsverträge, bei denen dann die nicht zur Klage nach § 767 ZPO berechtigenden Umstände auch keine Kündigungsgründe darstellen können.
So sah es auch das LG München II (Urteil vom 17.11.2022, Az. 2 HK O 2028/20):
„Die Tatsache, dass der Kläger inzwischen nicht mehr in der Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände des Bundesamtes für Justiz in der aktuellen Fassung vom September 2022 aufgeführt wird, hat entgegen der Argumentation der Beklagtenseite keine Konsequenzen für den hier vorliegenden Fall. Eine unzulässige Rechtsausübung aufgrund eines vertraglichen Anspruchs liegt hier angesichts des klaren Gesetzestextes der Übergangsvorschriften nicht vor. So lautet § 15a Abs. 1 UWG in der Fassung vom 02.11.2020 wie folgt:
§ 8 Absatz 3 Nummer 2 ist nicht anzuwenden auf Verfahren, die am 1. September 2021 bereits rechtshängig sind.
…
Auch existiert aufgrund der Regelung des § 15 a I UWG gerade kein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund wegen Wegfalls der Sachbefugnis- anders als in der Entscheidung Altunterwerfung I- BGH NJW 1997, 1702, beck-online.“
Ferner hat inzwischen auch das LG Lüneburg (Urteil vom 11.04.2024, Az. 7 O 66/23) die BGH-Entscheidung „Altunterwerfung I“ für nicht einschlägig erachtet und ein Kündigungsrecht verneint. Der Unterlassungsvertrag stamme aus einer Zeit, in der die Aktivlegitimation bestanden habe und mangels Änderung der materiellen Rechtslage (die Unterlassungspflicht betreffend) sei er auch einzuhalten:
„Das Argument, welches die Beklagte mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Altunterwerfung I“ Urt. v. 26.09.1996 – I ZR 265/95 herleitet, dass der Kläger sich nicht mehr auf das ihm nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in der bis zum 1. Dezember 2021 geltenden Fassung zugestandene Recht berufen könne, verfängt hier nicht. In dieser Entscheidung hatte nämlich der Gläubiger der geforderten Vertragsstrafe kein inhaltliches wirtschaftliches Interesse mehr an dieser Strafe, weil er nicht mehr auf dem dem Vertragsstrafenversprechen zugrunde liegenden Gebiet tätig war. In dem hier zu entscheidenden Fall ist die Situation aber anders. Der Kläger ist nach wie vor Interessenvertreter von vergleichbaren Online-Shops auf diesem Gebiet, was dadurch verdeutlicht wird, dass der Kläger einen Antrag auf Aufnahme in die gesetzliche Liste der Interessenverbände nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG gestellt hat.
Die Tatsache, dass der Kläger momentan bis zur Eintragung in die Liste der Interessenverbände nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG keinen Anspruch nach § 8 Abs. 1 UWG mangels Aktivlegitimation erheben kann, hat keinen Einfluss auf den Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe. Zur Zeit der Abmahnung und des Abschlusses des Unterlassungsvertrages war der Kläger aktivlegitimiert, Ansprüche auf Unterlassen nach dem UWG zu erheben. Der Unterlassungsvertrag ist ein zwischen den Parteien unabhängig vom Gesetz und freiwillig geschlossener Vertrag, welcher nach §§ 133, 157 BGB auszulegen ist. Die Zahlung einer Vertragsstrafe unter bestimmten Bedingungen wurde eindeutig vereinbart. Der Auffassung der Beklagten, die Klagemöglichkeit auf Vertragsstrafe mit der Möglichkeit der Anspruchserhebung nach § 8 Abs. 1 UWG gleichzusetzen, vermag das Gericht nicht zu folgen. Denn den Anspruch auf Unterlassen konnte und hat der Kläger bereits 2020 gegenüber der Beklagten durchgesetzt, sodass jetzt nur die Einhaltung der Pflichten bzw. Bestrafung der Zuwiderhandlung aus der Unterlassungserklärung relevant sind.“
Ebenso hat das LG Bochum, Urteil vom 14.05.2024, Az. I-12 O 74/22, unter Hinweis auf die Entscheidung des BGH (Beschluss vom 21.12.2023, Az. I ZB 42/23) und damit auf Grund der Übergangsregelung des § 15a Abs. 1 UWG entschieden, dass es für Alt-Unterwerfungsverträge nicht auf die Listeneintragung (§ 8b UWG) ankommen kann:
„Der Kläger ist auch klagebefugt, da der Unterlassungsvertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, als es noch keiner Eintragung des Klägers in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8 b UWG n.F. bedurfte (vgl. zur Konstellation bei Ordnungsmittelanträgen: BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2023 – I ZB 42/23 –, juris).“
Auch das LG Koblenz (Urteil vom 11.03.2022, Az. 4 HK O 79/16) hat – betreffend ein Verfahren auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung, § 727 ZPO – die Bedeutung des § 15a Abs. 1 UWG für die Beurteilung der Alt-Titel hervorgehoben und die Aufhebung eines Verfügungstitels abgelehnt:
„Der mit der Abschlusserklärung der Klägerin gesicherte Unterlassungsanspruch ist durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020 nicht entfallen. Denn ausweislich § 15a Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020 ist § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG nF nicht anzuwenden auf Verfahren, die am 01.09.2021 bereits rechtshängig waren. Die Vorschrift des § 15a Abs. 1 ist auf das einstweilige Verfügungsverfahren anwendbar, sofern der Verfügungsantrag – wie hier – vor dem 01.09.2021 gestellt wurde (Goldmann in Harte-Bavedamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl., § 15a Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, Rn. 4). Ist das Verfügungsverfahren – wie im vorliegenden Fall – bereits vor dem 01.09.2021 rechtshängig gewesen, so ist § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG nF nicht anwendbar. Vielmehr richtet sich die Anspruchsbefugnis des klagenden Verbandes weiterhin nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG 2004 (Goldmann in Harte-Bavedamm/Henning-Bodewig, a.a.O., Rn. 5; Schlinghoff in Münchner Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 3. Aufl., § 15a Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, Rn. 1).“
Angesichts der vom BGH und dem LG Koblenz erwähnten Übergangsregelung hat die Thematik auch eine verfassungsrechtliche Dimension. Nicht nur die titulierten Forderungen, sondern auch die durch Unterwerfungsverträge dokumentierten vertraglichen Forderungen sind als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG zu qualifizieren (siehe dazu OLG Hamm, Urteil vom 25.08.2022, Az. 4 U 120/21 – betreffend Unterlassungsverträge). Eine Enteignung darf „nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen“ (Art. 14 Abs. 3 GG), schon gar nicht gegen das Gesetz (§ 15a Abs. 1 UWG).
Dr. Harald Schneider
Rechtsanwalt
Fachanwalt für IT-Recht