Mit Urteil vom 30.05.2023, AZ. I-4 78/22, hatte das OLG Hamm dem IDO Verband e.V. unterstellt, rechtsmissbräuchlich gehandelt zu haben, weil er in der Vergangenheit nicht alle Fälle, in denen nach wettbewerbsrechtlicher Abmahnung, Unterlassungserklärungen ausgeblieben sind, im gerichtlichen Verfahren durchgeklagt hat. Der IDO Verband e.V. hatte sich insofern auf seine Vereinsautonomie berufen sowie sachliche Gründe für ein Absehen von gerichtlichen Maßnahmen dargelegt. Das OLG Hamm hatte die Revision zugelassen wegen divergierender Rechtsprechung.
Mit Urteil vom 07.03.2023, Az. I ZR 83/23 – bislang liegt nur das Protokoll – vor, hat der BGH das Urteil des OLG Hamm aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. In der mündlichen Verhandlung hat der BGH ausgeführt, dass die bloße Tatsache, dass nicht alle Fälle ohne Unterwerfungserklärung gerichtlich weiter verfolgt werden, für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht genügt. Die ausführliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor.
Das OLG Brandenburg (Urteil vom 16.05.2023, Az. 6 U 47/21), das OLG München (Urteil vom 05.10.2023, Az. 6 U 5540/22) sowie das LG Offenburg (Urteil vom 08.11.2023, Az. 5 O 5/21 KfH) hatten die Sache anders als das OLG Hamm gesehen und insofern dem Kläger auf Grund seiner Vereinsautonomie das Recht zugesprochen, selbst zu bestimmen, ob und wie viele Gerichtsverfahren er einleitet. Insofern wenden die Gerichte zutreffend die Grundsätze an, die der BGH für (erlaubtes) selektives Vorgehen aufgestellt hat.
OLG Brandenburg (Urteil vom 16.05.2023, Az. 6 U 47/21):
„Davon abgesehen sprechen das Verhältnis zwischen der für die vier Jahre von 2017-2020 genannten Zahl nicht weiterverfolgter Wettbewerbsverstöße und der Anzahl der Mitglieder des Klägers sowie die Vielzahl der – auch von der Beklagten – zitierten gerichtlichen Entscheidungen zu vom Kläger geltend gemachten wettbewerblichen Unterlassungsansprüchen gegen die Annahme, die Tätigkeit des Klägers sei vorrangig auf die Verfolgung von Vertragsstrafenansprüchen, statt auf die Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen gerichtet“
OLG München (Urteil vom 05.10.2023, Az. 6 U 5540/22):
„Hieraus allein kann aber nicht gefolgert werden, dass der Kläger rechtsmissbräuchlich handelt. Vielmehr ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zu entscheiden, ob das dauerhaft selektive Vorgehen eines Verbands ausschließlich gegen Nichtmitglieder als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist (BGH GRUR 2012, 411 — Glücksspielverband). Grundsätzlich ist es einem klagebefugten Verband nämlich nicht verwehrt, nur gegen bestimmte Verletzer gerichtlich vorzugehen. Die Entscheidung hierüber steht ebenso in seinem freien Ermessen, wie es dem einzelnen Gewerbetreibenden freisteht, ob und gegen welche Mitbewerber er Klage erheben will. Eine unzumutbare Benachteiligung des (allein) angegriffenen Verletzers gegenüber anderen – etwa deshalb, weil nummer er allein die angegriffenen Handlungen unterlassen müsste – ist darin schon deshalb nicht zu sehen, weil es dem Verletzer grundsätzlich offensteht, seinerseits gegen gleichartige Verletzungshandlungen seiner von dem Verband nicht angegriffenen Mitbewerber vorzugehen (BGH GRUR 2012, 411 Rn. 19 – Glücksspielverband m.w.N.).“
LG Offenburg (Urteil vom 08.11.2023, Az. 5 O 5/21 KfH):
„Die Beklagtenseite kann sich für den behaupteten Rechtsmissbrauch des Klägers auch nicht darauf berufen, dass der Kläger seinen Unterlassungsanspruch nach Erhalt der Abmahnkosten nicht mehr konsequent weiterverfolge bzw. generell nur einfache Verstöße abmahnte. Im Rahmen der vorstehend ausgeführten Rechtsprechung steht es dem Kläger frei, ob und ge- gen welche aus seiner Sicht wettbewerbswidrig handelnden Mitbewerber er vorgeht. Daraus folgt aber auch, dass ihm freisteht, den Umfang des Verfahrens zu bestimmen. Wenn aus Sicht des Verbandes durch Zahlung der Abmahngebühr dem Abgemahnten die Wettbewerbswidrigkeit seines Verhaltens deutlich genug vor Augen geführt wurde, besteht keine Verpflichtung des Klägers, jeder Beanstandung nachzugehen und Geld für Gerichtsverfahren auszugeben. Somit kann es der Kläger auch bei der Abmahnung und der Vereinnahmung der Mahngebühren belassen.“