Mit dem in der wettbewerbsrechtlichen Praxis eher seltenen Fall, dass ein Unternehmen sich durch einen Verhaltenskodex bindet, diesen dann aber nicht einhält, hatte sich das LG Nürnberg-Fürth in einem einstweiligen Verfügungsverfahren zu befassen gehabt. Nach gerichtlichem Hinweis erkannte der Antragsgegner die gestellten Verfügungsanträge an, so dass ein Anerkenntnisurteil (vom 24.09.2024, Az. 4 HK O 5387/24) erging. Wie es in solchen Fällen üblich ist, enthält das Anerkenntnisurteil keine Begründung. Im Folgenden soll die Entscheidung analysiert werden.
I. Zum Sachverhalt
Der als qualifizierter Wirtschaftsverband in der Liste des § 8b UWG eingetragene Bundesverband für Inkasso und Forderungsmanagement e.V. (BFIF e.V.) hatte ein Inkassounternehmen wegen diverser Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften abgemahnt. U. a. ging es dabei um fehlende Pflichtinformationen im Fernabsatz im Zusammenhang mit der Verwendung eines PDF-Inkassoauftragsformulars (Widerrufsbelehrung und Muster-Widerrufsformular), um fehlende Pflichtinformationen, die einem Verbraucher als Auftraggeber des Inkassounternehmens gem. § 13b RDG zu erteilen sind, um fehlende Informationen zum Verbraucherstreitschlichtungsverfahren und um die Verwendung von gegenüber Verbrauchern unwirksamen AGB-Klauseln.
Wegen dieser Anhäufung von Verstößen mahnte der Verband dann zusätzlich auch – als Verstoß gegen § 5 Abs. 2 Nr. 6 UWG – ab, dass das Inkassounternehmen mit berufsrechtlichen Richtlinien (dem „Code of Conduct“ des BDIU e.V.) wirbt, ohne dessen Anforderungen gegenüber Verbrauchern einzuhalten. Auf der Webseite des Inkassounternehmens befand sich im Zeitpunkt der Abmahnung folgende Werbeaussage:
„Durch „berufsrechtliche Richtlinien“ haben die Verbandsmitglieder des BDIU hohe Maßstäbe für den auftragsgebundenen, außergerichtlichen Forderungseinzug von Privatpersonen und Unternehmen gesetzt. … Die Mitgliedschaft im BDIU hat sich zu einem anerkannten Qualitätssiegel entwickelt.“
Auf der Webseite des BDIU e.V. findet sich einleitend vor den Einzelregelungen des „Code of Conduct“ folgende Aussage:
„Mit dem Code of Conduct – oder auf Deutsch: dem Verhaltenskodex für faires Forderungsmanagement – haben sich die Inkassounternehmen des BDIU auf klare und nachprüfbare Regeln für den Einzug von Forderungen verständigt. Dieser Code ist Ausdruck des Mottos des BDIU: Inkasso heißt Verantwortung.
Der Code of Conduct betrachtet Inkasso aus der Sicht von Verbraucherinnen und Verbrauchern.“
In § 1 des „Code of Conduct“ heißt es u. a. :
„Die Bestimmungen dieses Codes of Conduct gelten kraft Beschlusses der BDIU-Mitgliederversammlung vom 17.09.2020 gemäß § 25 Abs. 3 der Satzung des BDIU verbindlich für alle BDIU-Mitglieder. … Seine Bestimmungen sind auf alle Inkassofälle anzuwenden, die ab dem 1.10.2021 an einen Inkassodienstleister übergeben werden.“
II. Wann liegt ein Verhaltenskodex iSd § 5 Abs. 2 Nr. 6 UWG vor?
Die Richtlinie 2005/29/EG vom 11.05.2005 über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie) enthält betreffend den Verhaltenskodex in Art. 2 folgende Definitionen:
f) „Verhaltenskodex“ eine Vereinbarung oder ein Vorschriftenkatalog, die bzw. der nicht durch die Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschrieben ist und das Verhalten der Gewerbetreibenden definiert, die sich in Bezug auf eine oder mehrere spezielle Geschäftspraktiken oder Wirtschaftszweige auf diesen Kodex verpflichten;
g) „Urheber eines Kodex“ jede Rechtspersönlichkeit, einschließlich einzelner Gewerbetreibender oder Gruppen von Gewerbetreibenden, die für die Formulierung und Überarbeitung eines Verhaltenskodex und/oder für die Überwachung der Einhaltung dieses Kodex durch alle diejenigen, die sich darauf verpflichtet haben, zuständig ist;
Gemäß der nationalen Umsetzung in § 5 Abs. 2 Nr. 6 UWG muss sich der Unternehmer hinsichtlich des Kodex „verbindlich verpflichtet“ haben. Erforderlich ist also eine Vereinbarung, durch die sich Unternehmen auf die Einhaltung oder das Unterlassen bestimmter Verhaltensweisen, ähnlich den in § 24 Abs. 2 GWB erwähnten Wettbewerbsregeln, einigen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl. 2024, § 5 Rn. 7.1).
Der vom BDIU e.V. herausgegebene „Code of Conduct“ erfüllt die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 6 UWG. Es handelt sich um die Formulierung von Wettbewerbsregeln, die eng an die für Inkassounternehmen geltenden rechtlichen Normen angelehnt sind. Der Verhaltenskodex wurde in den Satzungsrang gehoben und gilt damit für alle Mitgliedsunternehmen des BDIU e.V. Diese haben sich einerseits gegenüber der Gruppe von Unternehmen (dem Verein) und andererseits auch durch die Vereinsmitgliedschaft untereinander zur Einhaltung der Regeln des Kodex verpflichtet.
III. Bedeutung als Fall der Irreführung
Nach der gesetzlichen Regelung in § 5 Abs. 2 Nr. 6 UWG bedeutet ein Verstoß gegen den Verhaltenskodex (der die für eine bestimmte Branche geltenden Anforderungen an die berufliche Sorgfalt regelt) nicht zugleich, dass eine unlautere Geschäftspraxis vorliegt. Ob der Verstoß gegen die übernommenen Sorgfaltspflichten eine unlautere geschäftliche Handlung darstellt, ist nach anderen Vorschriften zu beurteilen. Dementsprechend können Regelungen eines Verhaltenskodex nur in begrenztem Umfang Bedeutung haben, ob ein Verhalten als unlauter anzusehen ist (BGH, Urteil vom 09.09.2010, Az. I ZR 157/08). Die UGP-Richtlinie und § 5 Abs. 2 Nr. 6 UWG behandeln die Nichteinhaltung des Verhaltenskodex als Fall der Irreführung, falls der Unternehmer mit der Bindung an den Kodex wirbt, sich aber nicht an eindeutige daraus resultierende Verpflichtungen hält.
Im Falle des LG Nürnberg-Fürth (Anerkenntnisurteil vom 24.09.2024, Az. 4 HK O 5387/24) hatte der Unternehmer die Bindung an die berufsrechtlichen Regeln des BDIU e.V. in der Werbung auf seiner Webseite beworben und eine besondere Qualität durch die Bindung und Einhaltung des Verhaltenskodex suggeriert. Dessen Anforderungen, u. a. nämlich in besonders hohem Maße die Rechte der Verbraucher zu beachten, dementsprechend das Inkasso aus Sicht der Verbraucher zu betreiben, hatte die Antragsgegnerin wegen diverser Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften nicht eingehalten. Damit erfüllte die Werbung den Tatbestand der Irreführung nach § 5 Abs. 2 Nr. 6 UWG.
IV. Hinweis auf die Bindung an den Verhaltenskodex
Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 6 UWG ist der Irreführungstatbestand (vereinbarter Verhaltenskodex und Nichteinhaltung vorausgesetzt) nur dann erfüllt, wenn der Unternehmer „auf diese Bindung hinweist“. Im Falle des LG Nürnberg-Fürth war dies ausdrücklich so geschehen. Die Frage stellt sich, wie Fälle zu bewerten sind, in denen der Unternehmer ohne Nennung des Verhaltenskodex nur auf seine Mitgliedschaft in der durch den Kodex gebundenen Gruppe (BDIU e.V.) hinweist, z. B. durch kurzen textlichen Hinweis oder Nutzung des Logos dieses Verbandes. Da sich die Anforderung des Hinweises auf die Bindung an den Kodex bezieht, wird die Nennung der Vereinsmitgliedschaft im BDIU e.V. oder die Verlinkung auf die Verbandsseite möglicherweise noch keinen hinreichenden Erklärungsgehalt haben.
Bei einer zusätzlichen Erwähnung des „Code of Conduct“ oder einem Direktlink auf das Regelwerk wird der Fall wohl anders liegen. Die Ausführungen eingangs des „Code of Conduct“ stellen eine klare Information zur Bindung aller Vereinsmitglieder dar. Insofern müssen keine weiteren ausführlichen Erklärungen eines Unternehmens auf dessen eigener Webseite vorhanden sein, wenn er sich die vom BDIU e.V. betriebene Webseite mit dem Verhaltenskodex durch die Verlinkung zu eigen macht.
V. Haftung des „Herausgebers“ des Kodex ?
Interessant ist auch die Frage, ob und wann der „Urheber eines Kodex“ (Art. 2 lit. g UGP-Richtlinie) für dauerhafte bzw. vielfältige Regelverstöße zur Verantwortung gezogen werden kann. Der vorgenannte Artikel der UGP-Richtlinie enthält die Begriffe „Überwachung der Einhaltung“ des Kodex und „zuständig“. Solange die Selbstkontrolle funktioniert, wird die Frage der Überwachung der Einhaltung der berufsrechtlichen Regeln keine große Bedeutung haben. Kommt es hingegen zu erheblichen, zum Teil auch deckungsgleichen Verstößen bei den Mitgliedsunternehmen, rückt das Verhalten des Verbandes als Herausgeber des Verhaltenskodex in den Fokus und wird zu klären sein, warum es nicht gelingt, für die Einhaltung der Regeln des Kodex zu sorgen. Der Kodex erfährt durch multiple Missachtung eine gewisse „Entwertung“ und die Beibehaltung einer Verbandswerbung, die dann immer noch zum Inhalt hat, die Bindung an den Kodex führe zu einer besonderes hohen Qualität der Arbeit der Mitgliedsunternehmen, könnte dann irreführend sein (§ 5 UWG). Gelingt es nicht, die Einhaltung der Regeln des Kodex jedenfalls grundsätzlich durchzusetzen, wird es auch für die Mitgliedsunternehmen ein wettbewerbsrechtliches Problem werden, sich die Verbandswerbung bezüglich der Vorteile des Verhaltenskodex weiter zu eigen zu machen.
Der Betrieb eines nicht funktionierenden Verhaltenskodex könnte für den Urheber ggf. auch vor dem Hintergrund der Irreführung (§ 5 UWG) Probleme mit Mitbewerbern bringen, die sich auf die Aktivlegitimation nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG stützen können. Als solche kämen andere Berufsverbände (laut www.rechtsdienstleistungsregister.de gibt es 4 große Verbände der Inkassobranche), Rechtsanwälte, die das „Anwaltsinkasso“ betreiben, oder deren Berufsorganisationen in Frage.
Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass der „Urheber eines Verhaltenskodex“ für dessen Aktualisierung, die Überwachung und ggf. auch die Durchsetzung der Einhaltung der Regeln nicht nur „zuständig“ (Art. 2 lit. g UGP-Richtlinie) ist, sondern je nach Verhalten seiner Mitglieder auch dazu verpflichtet ist.
VI. Weitere Vorschriften im UWG betreffend einen Verhaltenskodex
Nur zur „Abrundung“ der Thematik sei erwähnt, dass sich im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG (sog. „Blacklist“ irreführender geschäftlicher Handlungen) zwei weitere Tatbestände finden, die sich mit dem Verhaltenskodex befassen:
Ziffer 1) der sog. „Blacklist“ befasst sich mit der unwahren Angabe eines Unternehmens, es gehöre zu den „Unterzeichnern eines Verhaltenskodex“. Wer nicht durch den Kodex gebunden ist, darf nicht den Eindruck erwecken, er gehöre dazu.
Ziffer 3) erwähnt die unwahre Angabe, dass ein Verhaltenskodex von einer „öffentlichen oder anderen Stelle“ gebilligt worden sei. Die Bedeutung des Kodex darf nicht in dieser irreführenden Weise ausgeschmückt werden.
Dr. Harald Schneider
Rechtsanwalt
Fachanwalt für IT-Recht