Rechtsprechung

Unterschiedliche Preise für Bestands- und Neukunden sind zulässig

Im Online-Handel werden Preise häufig erheblich flexibler gestaltet als beim stationären Geschäft. Neben den normalen Preisanpassungen bzw. Preisschwankungen kommt es aber auch zu gezielten Preisanpassungen, z. B. je nach Art der Kundengruppe (z.B. über die IP-Adresse des Kunden), je nach oder je nach Endgerät (Desktop oder iPhone usw.). Rechtlich gesehen, erscheint das auf den ersten Blick nicht zu beanstanden zu sein. Insbesondere Buchungsplattformen, Fluggesellschaften oder Hotelketten variieren ihre Preise in vielfältiger und oft schneller Weise. Die individuellen Online-Preise stehen aber dennoch in der Kritik. Das Bundeskartellamt sowie Verbraucherschutzinstitutionen hatten in den vergangenen Jahren mehrfach Kritik an den individualisierten Preisen geäußert, siehe z. B. die Untersuchung der Verbraucherzentrale Brandenburg e.V. Auch aus den Bereich des Datenschutzes sowie des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) werden zum Teil Bedenken geäußert.

Die u. a. für Kartellsachen zuständige III. Kammer für Handelssachen des LG Dortmund hatte im einstweiligen Verfügungsverfahren über einen Streit zweier Unternehmen, die sich mit der Versorgung von Letztverbrauchern mit Strom befassen, zu entscheiden (Urteil vom 31.03.2022, Az. 16 O 10/22 (Kart). Im Dezember 2021 gestaltete die Verfügungsbeklagte ihre im Internet abrufbaren Grund- und Ersatzversorgungspreise so, dass sie für Bestandskunden einerseits und für Neukunden mit Lieferbeginn ab dem 21.12.2021 andererseits unterschiedliche Arbeitspreise bei jeweils gleichen Grundpreisen festlegte. Dies beanstandete die Verfügungsklägerin als Verstoß gegen § 36 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), der die Grundversorgungspflicht regelt. U. a. ergibt sich nach dieser Norm (§ 36 Abs. 1 S. 1 und 2 EnWG) die Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen,

„für Netzgebiete, in denen sie die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen, Allgemeine Bedingungen und Allgemeine Preise für die Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck öffentlich bekannt zu geben und im Internet zu veröffentlichen und zu diesen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen. Energieversorgungsunternehmen dürfen bei den Allgemeinen Bedingungen und Allgemeinen Preisen nicht nach dem Zeitpunkt des Zustandekommens des Grundversorgungsvertrages unterscheiden. Die Veröffentlichungen im Internet müssen einfach auffindbar sein und unmissverständlich verdeutlichen, dass es sich um die Preise und Bedingungen der Belieferung in der Grundversorgung handelt.“

Die Verfügungsklägerin klagte auf Unterlassung. Sie war der Auffassung, dass die Verfügungsbeklagte nur einheitliche Grundversorgungspreise verlangen dürfe, die unabhängig vom Zeitpunkt des Lieferbeginns seien. Die Verfügungsbeklagte hingegen sah die Preisaufspaltung als zulässig und sachlich gerechtfertigt an. Sie begründete dies damit, sie habe sich zu der Einführung eines gesonderten Tarifs für Neukunden veranlasst gesehen, weil gleich mehrere Strom- und Gaslieferanten die Versorgung ihrer Kunden eingestellt hätten mit der Folge, dass ihr als Ersatz- bzw. Grundversorgerin kurzfristig innerhalb von Stunden eine massive Anzahl zusätzlicher Haushaltskunden zugeordnet worden sei. Für die Versorgung dieser Kunden habe sie nicht im Rahmen ihrer üblichen langfristigen Beschaffungsvorgänge die notwendige Energie beschaffen können, sondern habe sich kurzfristig am Markt zu um ein Vielfaches angestiegenen Preisen eindecken müssen. Um die erheblich höheren Beschaffungskosten für die neue Kundengruppe aufzufangen, habe sie mit Wirkung ab dem 22.12.2021 neue, von ihren Bestandstarifen getrennte Grund- und Ersatzversorgungstarife gebildet.

Das LG Dortmund gab der Verfügungsbeklagten Recht; es bestünde weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund. Gegen das Erfordernis eines einzigen einheitlichen Preises für alle in der Grund- und Ersatzversorgung belieferten Kunden spreche schon der Wortlaut von § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG. Dort verpflichtet der Gesetzgeber die Grundversorger Allgemeine Preise öffentlich bekannt zu geben und zu diesen „Preisen“ jeden Haushaltskunden zu versorgen. Aus der Verwendung des Plurals folge, dass die Festsetzung unterschiedlicher Preise für unterschiedliche Kundengruppen grundsätzlich zulässig ist. Zu beachten sei auch, dass der Verordnungsgeber nicht von der in § 39 Abs. 1 EnWG vorgesehenen Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht und einen einzelnen einheitlichen Preis vorgeschrieben hat. Dies zeige, dass der Grund- und Ersatzversorger im Rahmen der sonstigen gesetzlichen Regelungen in der Preisgestaltung grundsätzlich frei sei, also auch verschiedene Preise festlegen darf.

Schließlich sei auch kein plausibler sachlicher Grund ersichtlich, warum einem Grundversorger eine Preisgestaltung, die für unterschiedliche Kundengruppen verschiedene Preise zulässt, untersagt sein sollte. Auch im sonstigen Energiegeschäft sei es zulässig und werde auch von niemandem in Frage gestellt, dass unterschiedliche Preise für unterschiedliche Verbrauchsprofile, für eine unterschiedliche Vertragsdauer oder für verschiedene Zeitpunkte des Vertragsbeginns zulässig sind.

Selbst wenn man der Verfügungsklägerin darin folgen würde, die in § 36 EnWG vorgeschriebene Versorgung zu Allgemeinen Preisen enthielte ein Diskriminierungsverbot, sei ein Verstoß gegen § 36 EnWG und damit ein Anspruch der Verfügungsklägerin aus §§ 8 Abs. 1 und 3, 3, 3a UWG in Verbindung mit §§ 36 Abs. 1 Satz 1, § 38 EnWG zu verneinen. Die von der Verfügungsbeklagten vorgenommene Preisspaltung ist nach Auffassung des LG Dortmund sachlich gerechtfertigt (so auch OLG Köln, Beschluss vom 02.03.2022 – Az. 6 W 10/22).

Ein Energieversorgungsunternehmen ist für Netzgebiete, in denen es die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführt, zwar nach § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG verpflichtet ist, Allgemeine Bedingungen und Preise öffentlich bekannt zu geben und jeden Haushaltskunden zu diesen Bedingungen und Preisen zu beliefern. Allerdings begründet dies schon dem Wortlaut nach keine Verpflichtung zur Belieferung sämtlicher Kunden zu gleichen Preisen. Vielmehr ist der in § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG normierte Grundsatz der Preisgleichheit dahingehend zu verstehen, dass die Lieferung der Energie zu den Allgemeinen Preisen, die veröffentlicht wurden, und nicht ohne Bezug dazu angeboten wird.

Dadurch werden im Ergebnis zwar diejenigen Kunden benachteiligt, die zu einem späteren Zeitpunkt die Grundversorgung in Anspruch nehmen und dafür höhere Preise zahlen müssen. Allerdings erfolgt diese Benachteiligung aus einem sachlichen Grund, wie das LG Dortmund und das OLG Köln auch zutreffend angenommen hat. Denn alternativ müssten die Kunden, die bereits (ggf. aus wirtschaftlicher Not) die Grundversorgung in Anspruch nehmen, dann für sie überraschend erhöhte Preise bezahlen. Eine andere Interpretation des § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG würde im Übrigen zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Versorgungsunternehmenr führen.

Dr. Harald Schneider
Rechtsanwalt, Fachanwalt für IT-Recht