Rechtsprechung

BGH: Inkassokosten auch bei nachfolgender gerichtlicher Anwaltstätigkeit in voller Höhe zu erstatten

In einem bis zum BGH geführten Rechtsstreit ging es um die Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Inkassokosten. Die Klägerin, ein regionales Energieversorgungsunternehmen, belieferte den Beklagten mit Gas und Wasser. Da der Beklagte ausstehende Rechnungen nicht bezahlte, mahnte die Klägerin die offenen Beträge mehrfach, allerdings erfolglos, an. Anfang des Jahres 2019 beauftragte sie einen Inkassodienstleister mit dem Forderungseinzug. Nach weiteren vergeblichen Inkassomahnschreiben beantragte das Inkassounternehmen in Vertretung der Klägerin den Erlass eines gerichtlichen Mahnbescheids. Hiergegen erhob der Beklagte Widerspruch. Mit der weiteren gerichtlichen Geltendmachung ihrer Forderungen im streitigen Verfahren (beim LG Kiel) beauftragte die Klägerin sodann einen Rechtsanwalt. Die auf Zahlung einer Hauptforderung in Höhe von 5.035,78 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage hatte insofern Erfolg. Gegen den nicht erschienen Beklagten erging ein Versäumnisurteil. Die von der Klägerin zusätzlich eingeklagten Inkassokosten in Höhe von 480,20 EUR (1,3 Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale) sprach das LG Kiel (Urteil vom 13.09.2019, Az. 4 O 271/19) im Versäumnisurteil allerdings nur in Höhe der nicht auf die Prozessgebühr anrechenbaren Geschäftsgebühr (0,65 zuzüglich Auslagenpauschale) zu. Dies ergab einen Erstattungsbetrag in Höhe von 250,10 EUR nebst Zinsen Die weitergehende Klage wies das LG Kiel ab. Die Berufung hatte das Gericht diesbezüglich zunächst nicht zugelassen. Auf eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin hin hob das BVerfG wegen Verletzung deren Rechts aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG die Entscheidung des LG Kiel insoweit auf, als darin hinsichtlich der Entscheidung über die Inkassokosten die Berufung nicht zugelassen worden war. Hiernach ließ das LG die Berufung dann zu. Die auf Zahlung weiterer Inkassokosten in Höhe von 230,10 EUR nebst Zinsen gerichtete Berufung der Klägerin wurde vom OLG Schleswig (Urteil vom 04.03.2021, Az. 5 U 127/20) zurückgewiesen. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision, mit welcher die Klägerin ihr Klagebegehren weiterverfolgte, hatte dann allerdings vor dem BGH (Urteil vom 07.12.2022, Az. VIII ZR 81/21) Erfolg.

Das Problem des Falles ist, dass ein Rechtsanwalt gemäß den für ihn geltenden Bestimmungen des RVG die vorgerichtlich (durch seine Mahntätigkeit) entstandene Geschäftsgebühr zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens in derselben Sache anrechnen muss. Für Inkassounternehmen gibt es aber keine gesetzliche Gebührenordnung. Es gilt hier lediglich die Begrenzung, dass der gegen einen Schuldner (namens des Auftraggebers) geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch der Höhe nach nicht den Betrag überschreiten darf, den ein Rechtsanwalt bei gleicher Tätigkeit beanspruchen darf (§ 4 Abs. 5 RDGEG a.F., die bis 30.09.2021 galt, nunmehr geregelt in § 13e Abs. 1 RDG). Die Vorinstanzen waren der Auffassung, die Inkassokosten seien (maximal) in Höhe einer 0,65 Geschäftsgebühr ersatzfähig, weil bei sofortiger Beauftragung eines Rechtsanwalts eine Anrechnung erfolgt wäre. Nutze der Gläubiger die Bereitschaft der Rechtsanwälte zum Inkasso nicht, sondern entscheide er sich für die Beauftragung eines Inkassodienstleisters, trage er wegen Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht die dadurch entstehenden Mehrkosten selbst.

Der BGH verneint hingegen einen Verstoß gegen die sich aus § 254 Abs. 2 S. 1, letzter Halbsatz BGB ergebende Schadensminderungspflicht. Der Beklagte habe nicht erkennen lassen, dass er sich gerichtlich streiten werde. Die Klägerin habe daher davon ausgehen können, dass entweder die außergerichtliche Realisierung oder aber die Titulierung im gerichtlichen Mahnverfahren (das ein Inkassounternehmen bearbeiten darf) gelingen werde. Mit seiner gegenteiligen Ansicht, wonach ein Gläubiger zwecks vorbeugender Kostenminimierung ungeachtet der Umstände des Einzelfalls stets verpflichtet sei, von vornherein lediglich einen Rechtsanwalt mit der Verfolgung und Durchsetzung einer Forderung zu beauftragen, verkennt das Berufungsgericht nach der Meinung des BGH die Grundentscheidungen des Gesetzgebers zu der Stellung und zu den Befugnissen von Inkassodienstleistern. Die außergerichtliche Forderungseinziehung ist nach der Wertung des Gesetzgebers gerade nicht allein Rechtsanwälten vorbehalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.08.2004, Az. 1 BvR 725/03; BGH, Urteil vom 27.05.2020, Az. VIII ZR 45/19, Rn. 46 mwN; vgl. auch Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr [ABl. EU Nr. L 48 S. 1], wonach zu den seitens des Schuldners im Falle eines Zahlungsverzugs zu erstattenden Kosten auch diejenigen zählen können, die durch die Beauftragung eines Inkassounternehmens entstehen). Somit kam der BGH dann – siehe den amtlichen Leitsatz – zu folgender Entscheidung:

„Beauftragt ein Gläubiger einen Inkassodienstleister mit der Einziehung einer – zunächst – unbestrittenen Forderung nach Verzugseintritt des Schuldners, sind dessen Kosten grundsätzlich auch dann in voller Höhe erstattungsfähig, wenn der Gläubiger aufgrund eines später erfolgten (erstmaligen) Bestreitens der Forderung zu deren weiteren – gerichtlichen – Durchsetzung einen Rechtsanwalt einschaltet.“